Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Brutalität | |
Gefühl | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Spannung | |
Wir befinden uns auf einem Planeten, auf dem die Menschen sich ein Territorium aufgebaut haben, dass sie Botschaftsstadt nennen. Von den dort lebenden außerirdischen Gastgebern werden sie geduldet und mit benötigten Gütern wie Nahrung und Luft versorgt. Doch nur die wenigsten der Menschen werden von den Gastgebern tatsächlich als Individuen wahrgenommen, da sie in ihren Augen nicht sprechen können. Die fremdartigen Wesen verständigen sich mit zwei Mündern. Gleichzeitig. Nur so können sie wirklich
Sprache sprechen. Die Menschen haben bizarre Doppelwesen, die Botschafter, herangezüchtet und -geklont. Zwei die sich bis aufs Haar gleichen und die durch Empathie und Technik miteinander verbunden sind. Sie heißen Mag und Da, Dal und Ton oder Joa und Quin und bilden die einzige Möglichkeit sich in
Sprache zu verständigen. Sie haben gelernt wie eins zu sprechen und können so von den Gastgebern verstanden werden. Sie können verhandeln, fordern und danken.
Regelmäßig wird das Fest der Lügen ausgerichtet, bei dem die Botschafter falsche Wahrheiten zum besten geben. Sie sagen ein Viereck sei rund oder ein riesiges Haus sei klein. Damit versetzen sie die Gastgeber, die sich selbst zumeist erfolglos in dieser Kunst üben, in Erstaunen, denn die Außerirdischen können nicht lügen.
Doch dann schickt Bremen, der Posten, dem Botschaftsstadt unterstellt ist, einen neuen, einen unmöglichen Botschafter. EzRa sind unterschiedlich, sie wurden nicht erschaffen. Und doch können sie
Sprache sprechen. Doch das, was passiert, als EzRa die Gastgeber begrüßen ist überraschender, erschreckender und unerwarteter als alles, was Botschaftsstadt und ihre Einwohner bisher erlebt haben.
China Miéville ist bekannt für die Andersartigkeit seiner Romane und Erzählungen. "Stadt der Fremden" macht da keine Ausnahme. Es ist eine zähe Geschichte, die ihre Zeit braucht, bis sie in Schwung kommt, alleine die Einführung in die Welt ist gute sechzig Seiten lang. Zeitliche Zusammenhänge werden gerade zu Anfang ignoriert, Miéville springt von einem Ereignis zum nächsten, nur um noch eine dritte Information an einer unerwarteten Stelle und temporär eher unpassend mittendrin unterzubringen. Das fordert Geduld und Aufmerksamkeit vom Leser. Doch wer durchhält wird mit einer wirklich faszinierenden Geschichte belohnt.
"Stadt der Fremden" ist eins von diesen Büchern, das man stellenweise mit Ungeduld und Anstrengung liest. Es taucht die Frage auf, worauf denn alles hinausläuft und wann es endlich in der Handlung weitergeht. Versteckt und erst nach und nach sichtbar macht dann doch alles Sinn und das letzte Drittel strotzt vor Aha-Erlebnissen. Und genau diese Art von Büchern ist es, die sich in den Köpfen festsetzt, sie regt zum Nachdenken an und bieten Stoff für Diskussionen. Eins ist sicher: Die Leserschaft wird sich in Fraktionen aufteilen. Die einen werden sagen, das Buch sei ein neuer Geniestreich des Autors, die anderen es für zähen Unfug halten.
Miévilles Geschichte ist anspruchsvoll. Die zentralen Themen sind Sprache, Verständigung und Sucht. Was macht einen Menschen aus? Was sein Denken und Sein? Der Autor beschreitet philosophische Wege und nimmt den Leser mit auf eine Reise in unwirkliche Gefilde einer fantastischen Welt, die, obwohl sie doch so anders ist als die unsere, letztendlich doch Gemeinsamkeiten aufzeigt.
Für alle, die "Weltenbauerei" Miévilles zu schätzen wissen bietet "Stadt der Fremden" natürlich auch einiges. Auf dem von ihm erschaffenen Planeten ist alles von Leben durchzogen, Häuser können Ohren ausbilden, wenn sie hören wollen, die Gastgeber stellen ein buntes Sammelsurium aus bekannten Versatzstücken da, die in ihrer Gesamtheit jedoch für eine absolute Fremdartigkeit sorgen. Dabei wird nichts wirklich erklärt, sondern aus der Sicht der jungen Frau Avice beschrieben, für die diese Welt und ihre Bewohner selbstverständlich sind. Ein Prinzip, wie es zum Beispiel auch Anthony Burges in seinem Romanklassiker "Clockwork Orange" verwendet hat. Dadurch wird der Zugang zu der Welt intellektuell noch anspruchsvoller gestaltet.
Wer trotz all der Hürden, die Miéville seinen Lesern in den Weg stellt, durchhält, und sich auf dieses ungewöhnliche, literarische Science-Fiction-Experiment einlässt, wird mit einer Geschichte belohnt, die ihn, egal auf welche Weise, noch lange beschäftigen wird.
Hier gibt es eine ausführliche Leseprobe.