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Hörbücher erfreuen sich einer stetig wachsenden Beliebtheit. Das ist nicht verwunderlich, bedenkt man, wie bequem es ist, sich auf langen Autofahrten im CD-Wechsler ein neues Buch anzuhören. Die hohe Kunst des Hörspiels hingegen hat seit den alten Radio-Hörspielen einen ungebrochenen Fankreis, der sich nun über ein besonderes Stück Audiokultur freuen darf. Sheridan Le Fanus Klassiker "Carmilla" wurde von Olaf Seider bearbeitet und liegt nun als Audio-CD des Labels Hörspiele-Welt vor.
"Carmilla" ist eine Novelle des Iren Sheridan Le Fanu, der im neunzehnten Jahrhundert wirkte. Seine Kurzgeschichten und Novellen sind oftmals mit dem irischen Volksglauben verwoben und bilden eine künstlerische Ausformung desselben. Doch nicht nur dieser Tradition fühlte sich Le Fanu verpflichtet. Darüber hinaus verfasste er einige der unheimlichsten Texte der Phantastikliteratur dieser Zeit und wird nicht zu Unrecht mit dem großen Edgar Allan Poe verglichen, da er den Horror oftmals aus den Tiefenschichten der Psyche der Protagonisten darstellte, ohne aber die Radikalität des Poeschen Kurzgeschichtenansatzes zu kennen.
"Carmilla" ist ein besonders gelungenes Beispiel für eine Vampirgeschichte und diente unter anderem Bram Stoker als Inspirationsgrundlage für seinen Bestsellerroman "Dracula". Ist es bei Stoker ein transsylvanischer Graf, der bevorzugt jungen Frauen den Lebenssaft raubt, so tritt bei "Carmilla" ein weiblicher Vampir auf. Dieser schleicht sich pikanterweise nicht an Männer, sondern an junge Frauen heran, so dass die Novelle einen homo-erotischen Unterton gewinnt, der sie über die Masse an Vampirgeschichten hinaushebt.
Die Tochter eines Landbesitzers wird Zeuge von unheimlichen Vorfällen in ihrer Umgebung und erlebt den Unfall einer Reisekutsche, aus der eine adlig wirkende Dame und ihre Tochter steigen. Da die Geschäfte der Mutter keinen Aufschub dulden, bietet der Landbesitzer an, deren Tochter für einige Monate bei sich aufzunehmen. Zwischen dieser Tochter namens Carmilla und dem jungen Mädchen entwickelt sich eine Freundschaft, die aber von Seiten Carmillas über das geziemliche Maß hinausgeht. Doch nicht nur das ist der Tochter des Landbesitzers unheimlich. Hinzu kommt, dass Carmilla auf Kirchenglocken nervös reagiert und mit bissigem Spott einen Leichenzug beobachtet, der zum hiesigen Friedhof unterwegs ist. Die Tode von jungen Mädchen in der ländlichen Umgebung häufen sich und Carmilla scheint im Zentrum des Geschehens zu stehen ...
Die Umsetzung der Novelle als Hörspiel ist gelungen. Geschickt eingesetzte Geräusche unterstützen die Handlung und machen sie plastisch. Die beiden Frauenstimmen sind, obzwar einander ein wenig ähnelnd, doch gut zu unterscheiden, was durch die Betonung und das Timbre der Sprecherinnen gelingt. Ruhig vorgetragene Erzählpassagen führen die Handlung zügig fort und man ist erstaunt, wie schnell die circa sechzig Minuten Laufzeit vergehen.
Sollte sich das Niveau der weiteren Hörspiele der Reihe "Die Schwarze Stunde" ebenfalls in diesem hohen Rahmen bewegen, kann man von einer gelungenen Serie für den Phantastik-Freund klassischer Texte sprechen.