Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Bildqualität | |
Mit "Bismark: Magier der Macht" steht seit langer Zeit wieder eine wuchtige Biographie des Eisernen Kanzlers in den Buchläden, verfasst zudem von einem US-amerikanischen Autor, dem renommierten Neuzeithistoriker Jonathan Steinberg, der an der University of Pennsylvania lehrt. Das allein sorgt für Aufmerksamkeit; zuletzt hatte mit Otto Pflanze ein amerikanischer Historiker sich des legendären Politikers aus der Ära des Deutschen Kaiserreichs angenommen: Otto von Bismarck, dem selbst seine erbitterten Gegner attestierten, einer der glänzendsten Staatsmänner des 19. Jahrhunderts gewesen zu sein. Bismarck gelang das Kunststück, das 1871 gegründete Kaiserreich, hervorgegangen aus einem preußisch dominierten Deutschland, zu wirtschaftlicher und politischer Größe zu führen und dabei ein - wenn auch fragiles - Bündnissystem zu schmieden, dass Deutschland den Frieden sicherte und den "Erbfeind" Frankreich isolierte. Mit seiner Entlassung 1890 durch Kaiser Wilhelm II. lag dieses bald in Scherben, und das Reich steuerte unaufhaltsam auf die Katastrophe des Weltkriegs zu.
Die Figur Bismarck hat seit jeher Historiker beschäftigt, gerade auch in den USA. Doch welche Akzente kann nun Steinberg mit seiner Biographie setzen, die sich immerhin mit einflussreichen Publikationen wie Nobert Galls "Der weiße Revolutionär" oder eben Otto Pflanzes zweibändiges Werk "Bismarck" (deutsch erschienen bei C.H. Beck) messen muss. Steinbergs Ziel ist es nicht, ein ausgewogenes Bild des Machtpolitikers Bismarck zu zeichnen; er möchte eine neue Erzählung wagen, jene des Charismatikers Bismarck, dessen außergewöhnliche Persönlichkeit ihn zu außergewöhnlichen Taten beflügelte.
Dabei bemüht Steinberg - akribisch wie kaum einer der genannten Historiker vor ihm - eine Unzahl an Qullen: persönlichen Aufzeichnungen und Tagebucheintragungen von Personen aus dem engsten Umfeld des Reichskanzlers, Berichten seiner Freunde, Mitarbeiter, Konkurrenten und Feinden, oft auch von Diplomaten, die den Kanzler hautnah, jedoch von einer Außenperspektive aus gesehen erlebten. Anhand dieser Quellen, die Steinberg deutet und in den Kontext einordnet, verfolgt er Bismarcks Leben, von seinen familiären Wurzeln in der preußischen Junkerschaft über die Bürgerliche Revolution von 1848, die für Bismarck zur Initialzündung seiner politischen Überzeugungen wurde, bis hin zu seinem rasanten Aufstieg zum eigentlichen Staatslenker, der die gesamte europäische Geschichte bis heute geprägt und verändert hat.
Das alles ist hochspannend geschrieben und erlaubt es, dem Menschen Bismarck so nah zu kommen, wie es nur möglich ist. Dennoch beschleicht den Leser das Gefühl, dass Steinberg sich von dem Charisma seines Titelhelden ebenso hat blenden lassen wie viele der Zeitgenossen Bismarcks. Trotz kritischer Töne gerät das Werk in manchen Passagen zur Hagiographie, die dem Reichskanzler nahezu übermenschliche Weitsicht, Klugheit und Überzeugungskraft zuschreibt, ihn eben zum "Magier der Macht" erklärt. Inwieweit Bismarcks Selbststilisierung als außergewöhnliche Persönlichkeit auch Inszenierung war, bleibt ungeklärt; ja, Steinbergs These zeugt eher von den anhaltenden Bewunderung, die Bismarck im Ausland, auch und gerade in den Vereinigten Staaten, entgegengebracht wird.
Sieht man darüber hinweg, kann man sich als Leser an Steinbergs klugem, scharfen Stil und an seiner bildhaften Sprache erfreuen, mit der er ein exaktes Bild von Bismarcks Zeit entwirft und die Kämpfe des Reichskanzlers gegen den Katholizismus, die Sozialdemokratie, den störrischen Wilhelm II. und seine zahlreichen Kontrahenten nachzeichnet. Ergänzt wird der voluminöse Text - knapp 750 Seiten umfasst das Werk mitsamt Quellenangaben - durch einige Bildtafeln im Innenschnitt, die Fotografien von Bismarck und seinem Umfeld aus verschiedenen Zeitabschnitten zeigen.
Fazit: Ein erstaunlich emphatischer Blick auf den "Eisernen Kanzler" legt der amerikanische Historiker Jonathan Steinberg hier vor und schrammt dabei knapp an einer Hagiographie Bismarcks vorbei. In Ergänzung zu dem deutlich kritischeren Werk von Norbert Gall überzeugt diese aktuelle Biographie jedoch durch ihre mutige, lebendige Darstellung, die von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln weiß.