Die Novemberrevolution spielt sowohl in der Geschichtswissenschaft als auch in der medialen Geschichtsdarstellung in Deutschland eine eher untergeordnete Rolle. Die Erforschung des Nationalsozialismus hat das Ereignisse von 1918/1919 stark in den Hintergrund treten lassen. Dabei spielte die Bewertung der deutschen Revolution immer auch eine Rolle in der Bewertung der Weimarer Republik und ihres Scheiterns.

Wolfgang Niess hat die Deutungen der Novemberrevolution aus den vergangenen 90 Jahren erforscht und analysiert. Herausgekommen ist das gut 600-seitige Werk "Die Revolution von 1918/19 in der deutschen Geschichtsschreibung. Deutungen von der Weimarer Republik bis ins 21. Jahrhundert". Niess geht chronologisch vor. Zunächst stellt er die Revolutionsdeutungen während und kurz nach der Revolution sowie in der Weimarer Republik vor. Es folgen die Darstellungen der nationalsozialistischen Revolutionsinterpretation und derjenigen deutscher Exilanten.

Die weiteren Kapitel behandeln die wissenschaftlichen Bewertungen der Revolutionsereignisse in der bundesrepublikanischen und der DDR-Geschichte. Der letzte Abschnitt schließlich betrachtet das wiedervereinigte Deutschland.

Ein sehr langes Kapitel fasst die wichtigsten historischen Darstellungen der Novemberrevolution zusammen. Außerdem enthält der Band noch einen zusammenfassenden Artikel zu Geschichtskultur, Geschichtspolitik und Geschichtsschreibung. Im Anhang befinden sich ein Literaturverzeichnis sowie ein Personenregister.

Wolfgang Niess' Buch "Die Revolution von 1918/19 in der deutschen Geschichtsschreibung. Deutungen von der Weimarer Republik bis ins 21. Jahrhundert" ist das Ergebnis einer intensiven Forschung. Der Autor hat eine umfassende und gut gegliederte Übersicht der wichtigsten Revolutionsdeutungen vorgelegt, die viel mehr ist als nur eine Geschichte der geschichtswissenschaftlichen Darstellungen.

Zum einen erläutert Niess gerade in den ersten Abschnitten des Buches nicht nur Standpunkte von Historikern, sondern legt den Schwerpunkt vielmehr auf Aussagen, Memoiren oder Artikel von beteiligten Politikern oder Gruppen der Weimarer Zeit. Die historische Interpretation der Novemberrevolution war einer der geschichtspolitisch umkämpftesten Diskurse in der Weimarer Republik. Die ersten Kapitel des Buches sind daher auch ein wichtiger Teil der Geschichte der ersten deutschen Demokratie und ihres Scheiterns.

Die späteren Kapitel beschäftigen sich dann viel stärker mit der Geschichtswissenschaft, was nicht zuletzt daran liegt, dass das Interesse an der Novemberrevolution nach dem zweiten Weltkrieg rapide abnahm. Ihre Deutung spielte keine große Rolle mehr im politischen Tagesgeschäft.

Sehr hilfreich für Studenten und Wissenschaftler ist der Abschnitt, in dem alle grundlegenden Revolutionsdarstellungen zusammengefasst vorgestellt werden. In Verbindung mit dem Literaturverzeichnis wird dieses Buch dadurch zu einem wichtigen Nachschlagewerk für die Novemberrevolution.

Die sehr gute Lesbarkeit des Buches wird einzig durch eine oftmals unnötige Redundanz gestört. Viele Autoren werden in mehreren Kapiteln angesprochen. Häufig stellt Niess dann den jeweiligen Standpunkt nochmal ausführlich vor, anstatt auf ein vorheriges Kapitel zu verweisen. Ein zweiter großer Kritikpunkt ist der sehr hohe Preis von weit über 100 Euro. Dadurch dürfte das Buch für die meisten Interessierten nur als Bibliotheks-Exemplar zugänglich sein.

Insgesamt ist das Werk aber allen Studenten und Historikern sehr zu empfehlen. Es fasst die Deutungen eines der wichtigsten Ereignisse der deutschen Geschichte ausführlich zusammen und ist auch als Nachschlagewerk geeignet.

Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite.