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Auf einem abgelegenen Landgut in Portugal dämmert ein greiser Patriarch den letzten Tagen seines Lebens entgegen. So verfallen sein Körper und marode seine Gesundheit auch ist, noch immer hält er die Großfamilie im eisernen Griff. Seine Macht reicht weit über das Körperliche hinaus, er regiert über seine Kinder und Enkelkinder bis in ihre Köpfe hinein und vergiftet deren Leben und Entfaltung selbst dann, wenn sie längst das Landgut verlassen haben. Die Atmosphäre ist geprägt von der hemmungslosen Gier des Alten, der sich materiell und sexuell nimmt, was er begehrt, und der rohen Verächtlichmachung von allem, das seinem patriarchalen Weltbild widerspricht. Der einzige Ausweg aus dieser Despotie scheint der Tod des Tyrannen zu sein, den er seiner Familie jedoch verwehrt.
Die Schatten des portugiesischen FranquismusDer portugiesische Schriftseller Antònio Lobo Antunes behandelt auch in diesem Roman wieder das große Trauma Portugals, unter dem das Land seit dem Sturz des franquistisch-faschistischen Salazar-Regimes in der "Nelkenrevolution" leidet. Das Landgut erscheint als Mikrokosmos der portugiesischen Gesellschaft, die sich teils willfährig, teils apathisch der Tyrannei eines rücksichtslosen Patriarchen beugte. In seiner Anlage gleicht der Roman dabei einem früheren Werk von Antunes, dem großartigen "Handbuch der Inquisitoren" aus den 1990er Jahren. Auch dort vergällte ein siecher, moralisch verkommener Gutsherr, der an den Autokraten Salazar angelehnt war, seiner Familie das Leben.
"Der Archipel der Schlaflosigkeit" schildert eine ähnliche Geschichte, allerdings noch konsequenter, dunkler und anspielungsreicher: Die Familie als Alptraum, das idyllische Landgut als Gefängnis, der Patriarch als Monster. Wie Antunes hier auf 300 Seiten ein halbes Jahrhundert verdichtet, ist bemerkenswert.
Fiebriger StilDazu muss man sich freilich auf den Stil des großen portugiesischen Autors einlassen, der die Sätze wie fallende Dominosteine nebeneinander drapiert und montiert, mit manchmal mikroskopischem Blick Stimmungen einfängt, dann wieder Gedanken als fiebrigen brainstorm bündelt. Sätze und Satzzusammenhänge werden unterbrochen, geteilt, wieder aufgenommen oder manchmal auch einfach abgewürgt. Einer flüssigen Rezeption entzieht sich "Der Archipel der Schlaflosigkeit" wie sämtliche Bücher von Antunes. Vermutlich hat diese Marotte dem Portugiesen bisher auch größere Leserschaften verwehrt.
FazitWer dem anspruchsvollen, fordernden Stil von António Lobo Antunes etwas abgewinnen kann, der bekommt mit "Der Archipel der Schlaflosigkeit" einen Familienroman serviert, der mit seiner Stimmung, seinem historischer Subtext und seiner Atmosphäre seinesgleichen sucht. Ein großer, wichtiger Roman und eines der literarischen Ereignisse des vergangenen Jahrs.
Eine Leseprobe findet sich auf der Verlags-Webseite.