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Es gibt nichts, was nicht schon einmal fotografiert wurde.
Diese "Erkenntnis" vermitteln häufig auch professionelle Fotografen, und hieraus resultiert ein Pessimismus gegenüber Innovationen in der Fotografie, der geradezu schmerzt. Aber es gibt auch Sternstunden, besondere Momente wie jenen, in dem die Rezensentin den Band "Strangers in the light" von Catherine Balet in der Hand hielt und kaum mehr loslassen wollte.
Ein einzigartiges Konzept liegt diesem Buch zugrunde: Die Protagonisten werden durch elektronische Medien angeleuchtet und nicht etwa durch aufwändige Blitzinstallationen im Studio. Nein, Handys, iPads, Notebooks und vergleichbare Geräte tun es. Sie entwickeln eine unvergleichliche Stimmung. Die Fotografin gibt an, dass sie den Impuls zu diesem Projekt erhielt, als sie ein Pärchen beobachtete, das während einer Vollmondnacht am Strand per Handy ein Selbstportrait, ein "Self", anfertigte. Jeder einigermaßen fantasiebegabte Leser mag sich diese besondere Stimmung vorstellen. Für Catherine Balet ergab sich hieraus die Idee zu herausragenden Fotos, in denen sich moderne Technik und Romantik treffen.
Balet präsentiert in diesem Band eine verblüffende Zusammenstellung. Sie versetzt berühmte Bilder, zum Beispiel Manets "Frühstück im Grünen" oder seine "Olympia", in die digitale Welt. Allein hierüber ließe sich bereits in einem Umfang berichten, der jenen einer Rezension sprengte, und das Buch hat noch sehr viel mehr zu bieten, Menschen in den unterschiedlichsten, oft scheinbar sozialen, häufig hingegen von Einsamkeit geprägten Situationen im Kontakt mit der Welt via Elektronik. Doch weiß die Fotografin das künstliche Licht auch anders zu präsentieren – in Tonstudios oder auch in einem OP, jeweils in völlig voneinander verschiedenen Mikrokosmen. Catherine Balet erschließt neue Welten, die durch das Licht eines oder mehrerer Displays erst zu leben beginnen.
Es war Balets Interpretation der "Olympia" von Manet, ganz zu Anfang des hier besprochenen Bandes, die die Rezensentin so sehr fesselte, dass sie das Buch nicht mehr zur Seite legen konnte und es auch immer wieder zur Hand nahm, als sie es eigentlich schon "durch" hatte: eines der raren Bücher, mit denen man nie fertig ist.
Balet hat Manets Idee regelrecht auf den Kopf gestellt, ins Gegenteil verkehrt, und doch verstärkt sie nur die Aussage des Impressionisten. Was für ein Kunststück!
Ihre sorgfältig konzipierten Fotografien, in denen kein winziges Detail dem Zufall überlassen ist, stellen uns einen Spiegel vor. Und genau so arbeiten sie: mit den elektronischen Medien und ihrem fahlen Licht, mit ihren Verführungen und ihren Segnungen, mit Spiegelungen, mit ihrer Eigenschaft als Zentrum eines individuellen kleinen Kosmos, den die Fotografin in ein größeres Ganzes einbettet; die unterschiedlichsten Welten treten hier gleichberechtigt auf und präsentieren sich kunstvoll, stimmungsvoll, berührend.
Catherine Balet weicht ein ums andere Mal von den Lehrbuchweisheiten ab, etwa, wenn sie junge Frauen und Männer in Einzelportraits zeigt, nah und ungeschönt, erschüttert, ihre Gesichter erhellt von Displays, sie tragen Kopfhörer, und sie tragen gewaltige Emotionen. Balet fokussiert bei diesen Portraits an den Augen vorbei, die dadurch verschleiert, fast verweint wirken. Das wäre ein amateurhafter Fauxpas, trüge ihn nicht eine geschickt konzipierende Fotografin vor, die hier eine unvergleichliche Stimmung erzeugt. Der "Trick" wirkt simpel, ist es aber nicht – der Effekt ist enorm.
Im OP, im Tonstudio, "draußen", einsam auf dem Bett, Balets Protagonisten leben für sich und sind doch vernetzt. Geradezu mystisch bereitet die Fotografin ein Thema auf, das uns alle berührt: unser soziales Verhalten angesichts der sozialen Medien; der Übergang von realen auf virtuelle Kontakte, die Schönheit darin und der Schauer der physischen Einsamkeit, der immer wieder in Balets bezaubernden Fotografien anklingt und durchscheint.
Ein unvergleichlich sensibler, dabei auch durchaus sarkastischer, satirischer Band, in dem jedoch der Respekt vor dem Individuum nie auf der Strecke bleibt; wunderbare, detailverliebte Inszenierungen und ein Feingefühl für Stimmungen, das einzigartig ist. Selten verliebt man sich als engagierter Rezensent in ein Buch – hier trat dieser Effekt ein.
Uneingeschränkte Empfehlung!
Mehr dazu wird auf der Verlagsseite zum Buch angeboten.