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"Renner", chinesischer Ich-Erzähler dieses Romans, gehört zu den ersten Kindern, die von der modern ausgebildeten Hebamme Gugu, seiner Tante, in der Nachkriegszeit auf die Welt gebracht werden. In seinem Buch erzählt "Renner", der sich später, als Autor, "Kaulquappe" nennt, einem japanischen Freund von seiner Tante und seiner eigenen Geschichte, von der Entwicklung, die Gugu im Zuge persönlicher und gesellschaftlicher Tragödien nahm: stigmatisiert, weil ihr Verlobter, ein Jetpilot, nach Taiwan durchbrannte, und als fanatische Anhängerin der Partei und somit auch der Ein-Kind-Politik schließlich von der Lebensspenderin zum Todesengel avancierend, unerbittlich Zwangsabtreibungen vornehmend, auch wenn manche Kinder bereits fast ausgetragen waren und die Mütter wie die praktisch reifen Föten unter ihren Händen verstarben. Zu den Opfern gehören "Renner/Kaulquappe" und seine erste Frau sowie ihr ungeborener Sohn und andere Mitbürger ihres Dorfes.
Mit den Jahren sieht Gugu ein, dass sie gewaltige Schuld auf sich geladen hat. Auf ihre Weise versucht sie, diese Schuld zu sühnen, absurd, anrührend, nicht fern vom Wahnsinn. Und der Ich-Erzähler erfährt am eigenen Leibe beziehungsweise angesichts seiner eigenen, zweiten Frau, Gugus Assistentin, zu welch schier grotesken Verwicklungen der Kinderwunsch einer schon über die Zeit der Fruchtbarkeit gereiften Frau führen kann. Er berichtet seinem Brieffreund detailliert von allen Komplikationen und setzt auf dessen Verständnis.
Mo Yan, der im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Literatur erhielt, wählt für diesen Roman eine ganz andere Darstellungsweise als in "Der Überdruss", nicht phantastisch und vom Thema her spezifischer. Der Roman besteht überwiegend aus Briefen, die der Ich-Erzähler, mittlerweile ein Bühnenschriftsteller mit dem viel sagenden Pseudonym "Kaulquappe", einem befreundeten Japaner schickt, der sich nach einem Besuch der Provinz Nordost-Gaomi für Gugus ungewöhnliche Biografie interessiert.
Neben Gugu treten einige Angehörige des Ich-Erzählers sowie mehrere Familien aus dem Dorf als Protagonisten auf, anhand deren Entwicklung sich dem Leser die teils sehr verstörende chinesische Zeitgeschichte erschließt. So ist neben der kompromisslosen Durchsetzung der Ein-Kind-Politik durch linientreue Kader wie Gugu auch die Kulturrevolution ein wesentliches Thema, während derer die Revolution klassisch ihre Kinder wie Gugu frisst, die angeklagt und aufs Heftigste misshandelt wird. Und schließlich zeigt sich, wie gerade in neuster Zeit die Gesetze durch Reiche und auf Kosten der Integrität der Armen verbogen werden, wie auch in China letztlich die Macht des Geldes siegt und eine ursprünglich in guter Absicht eingesetzte Regelung völlig ad absurdum geführt wird.
Mo Yan zeigt sich in "Frösche" wie in seinen vorangegangenen Werken als begnadeter Erzähler, der ein üppige Darstellung nicht scheut und den roten Faden gerne umspielt. Erst nach einiger Zeit erschließt sich die Titelwahl, denn das chinesische Wort für Frosch, "Wa", hat eine ganze Reihe weiterer, teils nuancierter Bedeutungen, nicht zuletzt in Wortzusammensetzungen. Dies wird dem deutschsprachigen Leser jedoch anschaulich nahegebracht. Immer häufiger treten beim Voranschreiten des Romans Frösche auf, bis sich zeigt, wie eng die Frösche mit den Protagonisten verbunden sind, auf Gedeih und Verderb.
Gert Heidenreich versteht es, den Hörer acht lange CDs hindurch zu fesseln; dies erfordert auch angesichts einer exzellenten Textvorlage wie der des Nobelpreisträgers Mo Yan einiges sprecherisches Talent. Respekt vor dieser Leistung, die das Hörbuch zu einem wahren Literaturgenuss werden lässt. Die Kürzungen erfolgten sehr geschickt – der Rezensentin ist die Printausgabe bekannt -, nichts Wesentliches fehlt, die Aussage des Buchs bleibt uneingeschränkt erhalten. Verzichtet wurde auf das Theaterstück über Gugu, das in der Vorlage dem japanischen Brieffreund zugesandt wird: Es hätte lediglich die bereits vorhandene Biografie der Gugu in intensiver Weise rekapituliert.
Das auch in der Printausgabe vorhandene Nachwort enthält eine Stellungnahme des Autors zum ihm gegenüber erhobenen Vorwurf, er sei ein "Hofdichter" des Regimes. Absolut hörenswert und wahrlich eines Nobelpreisträgers würdig!
Auch die Hörbuchausgabe von "Frösche" zeigt, wie einzigartig, nämlich zugleich authentisch und mit fantastischen Anklängen, brutal und poetisch, Mo Yan chinesische Zeitgeschichte darzustellen vermag, diesmal vorwiegend anhand eines Einzelschicksals, das empört, spaltet und gleichzeitig Mitleid erzeugt.
Eine Hörprobe wird auf der Verlagsseite zum Buch angeboten.