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Zeitraffer:
1. November 2007 im italienischen Perugia: In der Wohnung, in der die amerikanische Studentin Amanda Knox mit drei anderen Frauen lebt, wird die Mitbewohnerin Meredith Kercher beraubt und ermordet aufgefunden. In der festen Überzeugung Zeugin zu sein und bei der Hilfe nach den Verantwortlichen hilfreich sein zu können, stellt sich Knox zur Verfügung und beantwortet die Fragen der Carabinieri, die ihre ganz eigene Theorie des Tathergangs entwickelt. In dieser Version ist Knox nicht nur die Mitbewohnerin, sondern an Merediths Tod schuld und kommt folglich dessen (später) in Untersuchungshaft.
4. Dezember 2009: Amanda Knox und ihr Freund Raffaele Sollecito werden aufgrund von Indizien verurteilt; Knox zu 26 Jahren Haft - wegen Mordes.
3. Oktober 2011: Die Wende: Das Berufungsgericht stellt unter der Zuhilfenahme von zwei Sachverständigen fest, dass Knox und Sollecito vielleicht den Mord begangen haben oder daran beteiligt waren, allerdings die Beweise, die für die erste Verurteilung herangezogen wurden, nicht aussagekräftig seien - Freispruch.
Ein Jahr nach ihrer Freilassung erfolgt nun die öffentliche und mediale Verarbeitung der Geschehnisse aus Knox' Sicht: "Zeit, gehört zu werden".
Über Amanda Knox wurden in den vergangenen Jahren viele Artikel und Reportagen verfasst. Als "Engel mit den Eisaugen" wurde sie medial vorverurteilt, den Mord zusammen mit ihrem Freund an ihrer Mitbewohnerin begangen zu haben. Dies war keine gute Ausgangslage für den ersten Prozess und der Auftakt einer langen Zeit im Gefängnis. Selbstverständlich ist dieses Werk völlig eindeutig in kriminalistischer Hinsicht: Amanda Knox hat mit dem Tod von Meredith nichts zu tun - es wäre auch eine Überraschung, wenn sie sich selbst belasten würde. Das Werk hat auch zu keiner Zeit den Anspruch, den Tathergang weitergehend zu beleuchten, sondern eine junge, naive Austauschstudentin aus Amerika erzählt ihre Sicht der Geschichte. Die Geschichte, die die italienische Justiz scheinbar nicht hören wollte.
Zeitlich in drei Abschnitte unterteilt (Start der Reise bis zum 9. November, 10. November bis 4. Dezember 2009 [erste Verurteilung], Dezember 2009 - 03. Oktober [Freispruch]), berichtet Knox wie in einem Tagesbuch von den Ereignissen, die sie erlebt hat. Der gesamte Text ist nicht nur eine gewichtete Nacherzählung, sondern auch mit diversen Briefen oder Statements durchzogen, die Knox während ihrer Haft verfasst hat. Durch eine auktoriale Erzählstruktur bringt sich Knox dem Leser nah, sehr nah. Sie lässt ihn teilhaben an ihren Gedanken, Motivationen und Handlungen, an ihrer Ohnmacht und der scheinbar nicht an der Wahrheit interessierten italienischen Justiz. Beinahe spielerisch nimmt sie die Vorwürfe und "Fakten" der Presse auf, um sie dann in ihrem Kontext neu zu bewerten. Mit den oft herangezogenen Themen "Sex" und "Drogen" geht sie offen um, gibt Fehler zu und versucht die sexuellen Abenteuer nicht herunterzuspielen, sondern sie als das aussehen zu lassen, was sie sind: normale Begebenheiten in der Jugend. Ob der Leser ihr das im Endeffekt glaubt, sei an dieser Stelle mal dahingestellt. Passend dazu werden einige Fotos von Knox, Meredith und den Gerichtsverhandlungen eingestreut.
Insbesondere die widersprüchlichen Aussagen zu Beginn der Verhöre, die Verleumdung, bei der sie den Barbesitzer Diya Lumumba (eiskalt) des Mordes bezichtigt und letztendlich dafür zu drei Jahren Haft verurteilt wird und weitere kleine bis große Ungereimtheiten holen den Leser in die Realität zurück. Für die Tatnacht liegt auf den fast fünfhundert Seiten auch weiterhin kein Alibi vor. Lügen, Verleumdungen, Drogenkonsum und große Erinnerungslücken stehen im Kontrast zu einer detaillierten, packenden und emotionalen Offenlegung von Knox. Feststeht: Jemand hat Meredith ermordet - verurteilt wurde nur Rudy Herman Guede.
Auffällig ist der gelungene Schreibstil, der sich meilenweit von anderen Werken dieses "Genres" (zum Beispiel "Marco W. - Meine 247 Tage im türkischen Knast") absetzt. Knox reflektiert und beschreibt so flüssig und packend, dass sich dieses Buch beinahe wie ein Roman lesen lässt. Sanfte Übergänge zwischen den Passagen, inhaltlich sauber strukturiert und jederzeit auf ein klares Ziel hinarbeitend reißt es den Leser mit sich mit; lässt ihn mit leiden. Selbst wenn, Zweifel an ihrer Unschuld bestehen.
Kurzum: : Knox' "Zeit, gehört zu werden" ist ein packendes Werk, das diesen Mordfall noch einmal von einer anderen Seite beleuchtet und ihren Weg von Amerika in die Untersuchungshaft bis letztendlich zum Freispruch verarbeitet. Der Wahrheit kommt der Leser damit nicht näher.
26. März 2013: Das Kassationsgericht in Rom hebt die Freisprüche aus dem vorherigen Verfahren wieder auf. Knox' Verfahren muss erneut stattfinden.
Auf der Verlagsseite kann im Buch geblättert werden.