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Frankfurt, Bankfurt, Krankfurt; nicht sehr schmeichelhaft sind die Beinamen, die Goethes Geburtsstadt bisweilen erhält. Mit Frankfurt am Main verbinden die meisten Menschen Großbanken, kaum jemand würde dieser kleinen Metropole die Bezeichnung "Stadt der Bücher" verleihen trotz der jährlichen Buchmesse, die auf eine viele Jahrhunderte währende Tradition zurückblicken kann, trotz der zahlreichen bedeutenden Autoren, die dort gelebt und gewirkt haben, der vielen Verlage und der renommierten Zeitungen mit Sitz in Frankfurt, die es gab und zu einem guten Teil heute noch gibt.
Die Autoren Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz sind den Spuren der Bücherstadt Frankfurt vom Mittelalter bis heute gefolgt und porträtieren sie in ihrem neuen Buch. Minnesang und Passionsspiele, die Einführung der Buchmesse und die Auswirkung der Reformation auf die Messe, aber auch deren Bedeutung für die Stadt und das Verlagswesen, Höhen und Tiefen nach dem 30-jährigen Krieg, der Umgang "der Stadt" mit Juden: Diese und viele weitere Themen bestimmen den ersten Teil, "Gründungsmythos und Wirklichkeit". Im zweiten Abschnitt geht es um Goethe und den Kreis um ihn, anschließend um Frankfurts Rolle nach dem Wiener Kongress und der Nationalversammlung sowie um die Frankfurter Mundartdichtung und das Aufkommen der Theater, als Frankfurt Preußen angehörte und rasch an Bedeutung einbüßte. Der letzte Teil schließlich schildert das 20. Jahrhundert mit seinen Kriegen und der Zwischenkriegszeit, den vielen Facetten des Frankfurter Literaturlebens, bis hin zur Bücherverbrennung und Massenauswanderung der verzweifelten Juden, was die Gleichschaltung einläutete. Ebenso werden Neuanfänge in einer verwüsteten Stadt, der es weder vergönnt war, Bundes-, noch Landeshauptstadt zu werden, beleuchtet.
Eine wechselhafte Geschichte mit vielen teils überraschenden Wendungen, Höhen und Tiefen ist es, die von den Autoren beschrieben wird – nicht nur die Literaturgeschichte der Stadt, sondern parallel dazu auch die wirtschaftliche, soziale und politische Geschichte einschließlich der jeweils vorherrschenden philosophisch-religiösen Ideen, ohne die sich das rege literarische Leben Frankfurts nicht verstehen lässt. Das Buch bietet eine hervorragende Möglichkeit, diese Zusammenhänge zwischen Politik und Wirtschaft zum einen und dem Literaturbetrieb zum anderen zu begreifen.
Dass Goethe ein eigenes großes Kapitel zukommt, versteht sich von selbst, doch auch die vielen anderen Frankfurter Literaturgrößen werden angemessen gewürdigt, etwa die Brentanos, der Struwwelpeter-Autor Hoffmann, Ludwig Börne, Martin Buber und schließlich auch Marcel Reich-Ranicki oder Verleger wie Suhrkamp und sein Nachfolger Unseld. Der Leser wird überrascht feststellen, wie viele teils Jahrhunderte alte Elemente sich im heutigen Frankfurter Kultur- und Geistesleben noch finden.
Ohne jegliches Pathos, sehr sachlich, dabei aber ausgesprochen angenehm und kurzweilig, aufgrund des trotz des hohen Informationsgehaltes nie trockenen Stils, präsentieren die Autoren ihre Fankfurter Literaturgeschichte, die auch "Nichtfrankfurter" bibliophilen und kulturhistorisch Interessierten eine breite Palette an spannenden Einblicken bietet. Anekdoten wie Fakten sind keineswegs abgedroschen, sondern es lässt sich viel Neues und Interessantes lernen. Auch die vielen sorgfältig ausgewählten Illustrationen, meist zeitgenössische Stiche, Bilder und später Fotos, verdienen Erwähnung.
So ist den Autoren eine literarische Stadtgeschichte oder eine Frankfurter Literaturgeschichte gelungen, die eine enorme Bereicherung für jeden Interessierten darstellt, gerade auch, weil sie ihren Gegenstand aus unterschiedlichsten Perspektiven betrachtet. Exzellente Lektüre!
Eine
Leseprobe wird auf der Verlagsseite zum Buch angeboten.