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 Wolfskinder

Jugendhilfe in Deutschland

Autoren: Fabian Weiß
Illustratoren: Fabian Weiß
Verlag: Edition Lammerhuber

Cover
Gesamt +++++
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Im Allgemeinen findet man den Begriff "Wolfskinder" im Zusammenhang mit Menschen, die angeblich als Kleinkinder oder Säuglinge ausgesetzt und von Tieren, zumeist eben Wölfen gesäugt und als Teil des Rudels erzogen wurden. Auch den berühmt gewordenen Kaspar Hauser könnte man in diese Kategorie einordnen.
Fabian Weiß hat – natürlich – keine solchen "echten" Wolfskinder fotografiert, sondern junge Menschen in der Obhut der deutschen Jugendhilfe: Kinder und Jugendliche, auch junge Erwachsene, die in unterschiedlichen Einrichtungen, etwa in Heimen mit verschiedenen Konzepten oder auch im Strafvollzug leben, solche, die an erlebnispädagogischen Maßnahmen teilnehmen, und andere, die im Ausland in soziale Gemeinschaften integriert werden, etwa, indem sie auf Bauernhöfen wohnen und ihren Teil an der anfallenden Arbeit erledigen.
Es gehören jedoch nicht nur Porträts zu diesem Buch, sondern ebenso Fotos vom mal tristen, mal Hoffnung gebenden Umfeld, von Zimmern und Zellen, von Briefen der Jugendlichen an ihre Eltern oder andere liebe Menschen, von Hausordnungen und Essensplänen und vieles mehr. Kurzinformationen zu den Porträtierten oder Einrichtungen finden sich bei den meisten Bildern, einige Fotos beziehungsweise Lebensgeschichten werden im Anhang ausführlicher kommentiert.

So vielseitig wie die Charaktere der Porträtierten ist auch die Herangehensweise des Fotografen; es wird sofort spürbar, wie gründlich und sensibel er sich mit den Kindern und Jugendlichen auseinandergesetzt und so weit ihr Vertrauen gewonnen hat, dass er sie fotografieren kann, wie sie sind; sie posieren nicht, außer, die Bildidee fordert dies – und dann ganz entspannt -, sondern leben einfach vor der Linse ihr Leben weiter. So findet die Begegnung zwischen Fotograf und Modell nicht nur auf Augenhöhe statt, sondern der Fotograf als solcher tritt völlig in den Hintergrund, die Kamera verliert ihre Präsenz. Was für eine Leistung, gerade beim Fotografieren von Jugendlichen; und zudem Jugendlichen, deren Vita sie das Misstrauen gelehrt hat.
Die Gesichter, sofern man sie zu sehen bekommt, erstaunen den Betrachter. Das sind natürlich keine "bösen" Physiognomien, es handelt sich um ganz normale junge Gesichter, meist ahnt man allerdings Erfahrungen darin, die nicht zu den wenigen Lebensjahren passen, in vielen Augenpaaren findet sich eine Traurigkeit und Verlorenheit, die Bände spricht und beim Betrachter Bestürzung auslöst.
Und auch die abfotografierten Briefe und sonstigen Schriftstücke der "Kids" berühren. Briefe an Eltern, voller Heimweh und Sehnsucht oder bewusst "cool", tiefere Gefühle überspielend. Der verzweifelte Liebesbrief eines Mädchens. Ein Dankesbrief an die Betreuer. Aber auch Klagen – über die Heimleitung, das "System", wenngleich nicht so bezeichnet, die Regeln und manches mehr. Zaghaft, zunehmend offener kommen manche Texte daher, plakativ andere. Streng sachlich sind wiederum die ergänzenden Texte des Fotografen. Gerade dadurch wird die jeweilige Bildaussage besonders unterstrichen. Der Betrachter und Leser ist aufgefordert, sich selbst ein Bild von der jeweiligen Situation zu machen – mittels Fotos und Texten.
Es ergibt sich jedoch nicht nur der Blick auf einzelne Charaktere, auf Kinder und Jugendliche entweder aus einem problematischen familiären oder sozialen Umfeld oder solche, die sich selbst im Weg stehen – die Übergänge sind selbstverständlich fließend -, sondern, sehr vielschichtig, auf die gesamte Jugendhilfe in Deutschland mit ihren Angeboten und den vielen auf den Einzelnen zugeschnittenen Chancen, die sie bietet. Das Scheitern wird jedoch nicht ausgeklammert: Es geht um eine realistische Schau, und zwar von innen heraus, von den Betreuten her.
Auch deshalb ist dieses Buch einmalig, denn im Allgemeinen erfolgt ja der Blick von außen, einem deutenden und damit immer ein wenig isolierenden, abwertenden Finger gleich. Die umgekehrte Sichtweise bewirkt eine ganz andere, differenziertere Auseinandersetzung mit dem Thema des "schwierigen" Jugendlichen.
Auf den ersten Blick mag der Preis für das eher kleine Buch verwundern, doch sowohl vom künstlerischen und inhaltlichen Aspekt her als auch in Bezug auf die sehr hochwertige Aufmachung – das Layout lehnt sich übrigens bewusst an ein Tagebuch an – ist er durchaus gerechtfertigt, zumal dieses Buch nicht zu denen gehört, die man kauft oder geschenkt bekommt, durchschaut und im Regal verstauben lässt: Es bringt sich und seine tief berührenden Wolfskinder immer wieder in Erinnerung, verliert nichts von seiner Aktualität und bietet auch nach mehrmaliger Lektüre immer wieder neue Eindrücke.

Einige der Fotos aus dem Band sowie zahlreiche spannende Informationen im Zusammenhang mit dem Buch finden sich auf der Verlagsseite zum Buch. Hineinschauen lohnt sich!

Regina Károlyi



Hardcover | Erschienen: 1. Oktober 2013 | ISBN: 9783901753640 | Preis: 39,00 Euro | 160 Seiten | Sprache: Deutsch

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