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Heterogenität - so lautet einer der am häufigsten genannten Begriffe in aktuellen Bildungsdebatten. Was theoretisch logisch erscheint - die individuelle Förderung -, das erweist sich im Unterrichtsalltag als durchaus schwierig umsetzbar.
Die ehemalige Leiterin der Bielefelder Laborschule Annemarie von der Groeben legt nun unter dem Titel "Verschiedenheit nutzen" einen praxisnahen Band zur Aufgabendifferenzierung und Unterrichtsplanung vor. Bezeichnenderweise steigt sie daher auch mit einem Unterrichtsbeispiel zum fächerübergreifenden Thema "Geschlechterrollen" ein, anhand dessen sie auf 47 Seiten zentrale Elemente einer individualisierenden Didaktik veranschaulicht und erläutert. Hieran schließt sich mit dem Kapitel "Das Lernen anders anlegen" das zentrale Kapitel des Buches an, in dem sie verschiedenste Möglichkeiten beschreibt, individualisierende Lernaufgaben zu konstruieren. Schlussendlich beschreibt die Verfasserin im letzten Kapitel "Vielfalt ermöglichen und nutzen", wie derartige Aufgaben in den Unterrichtsprozess eingebettet werden können.
Mit dieser überarbeiteten Fassung - das Buch erschien erstmals 2008 - legt Annemarie von der Groeben ein reichhaltiges Praxisbuch vor, das zahlreiche interessante Ansätze beschreibt, wie individualisierendes Lernen gelingen kann. Dabei erfindet die Autorin sicherlich das Rad nicht neu. Vielmehr sammelt sie aus der Literatur jene Methoden zusammen, die der individuellen Förderung dienlich sind. Insgesamt wirkt das Buch an manchen Stellen etwas überfrachtet, da die Autorin wie beispielsweise im Teilkapitel "Aufgabenformen und -funktionen" auf dichtem Raum immer wieder zahlreiche Vorschläge für einen individualisierenden Unterricht reihend darlegt. Eine Ursache für diesen Eindruck mag sicherlich auch darin liegen, dass die Beispiele, anhand derer die einzelnen Aspekte thematisiert werden, aus den unterschiedlichsten Fachbereichen stammen oder sogar sinnvollerweise fächerübergreifend angelegt sind, sodass eine hohe geistige Beweglichkeit notwendig ist, um den Darlegungen der Autorin zu folgen.
Immer wieder fällt auch die idealistische Sichtweise Groebens auf, die auf der Überzeugung beruht,
"dass alle Kinder gern lernen wollen und gut lernen können, dass alle - individuell unterschiedlich - begabt sind". Auch wenn dies bei vielen Lesern als durchaus zustimmungswürdig empfunden werden wird, erweist sich jener Idealismus bei praktischen Angelegenheiten als schwierig. Deutlich wird dies zum Beispiel daran, dass der institutionelle Rahmen sowie der 45-Minuten-Rhythmus eine Umsetzung zahlreicher Ansätze erschwert. So schreibt sie selbst, dass ein Zwei-Stunden-Block, der in der Praxis kaum die Regel sein wird, besonders günstige Voraussetzungen für einen individualisierenden Unterricht biete. Auch der Vorschlag, dem Leerlauf einzelner Schüler mit einer Kombination aus Expertenaufgaben, Leseaufträgen sowie mit Aufgaben, die sich aus dem laufenden Unterricht ergeben, zu begegnen, hört sich theoretisch leichter an, als er praktisch auch umsetzbar ist.
Die Zielgruppe des Buches, praktizierende Lehrer, werden daher sicherlich sehr genau abwägen müssen, welche der genannten Vorschläge überhaupt im Rahmen ihrer institutionellen und organisatorischen Möglichkeiten umsetzbar sind. Nichtsdestotrotz soll diese etwas skeptische Einschätzung niemanden davon abhalten, dieses Buch zu lesen, da ja erst das Wissen um die vielfältigen Möglichkeiten, einen derartigen Entscheidungsprozess in Gang setzt. Für die zweite Zielgruppe, Tätige in der Lehrerfortbildung, ist das Buch sowieso empfehlenswert, da nicht nur Impulse gesetzt werden, wie Schule zukünftig gestaltet werden kann, sondern auch systematisch sogenannte "Anregungen für die Workshop-Arbeit in Fachgruppen" angegeben werden.
FAZIT: ein reichhaltiger Band, dessen interessante Vorschläge sicherlich nicht alle unter den aktuell vorgegebenen Bedingungen umgesetzt werden können. Wer diesen jedoch mit klarem Verstand liest, wird dennoch geeignete Anregungen für den eigenen "individuellen" Unterricht finden.