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Stephen King ist ein Phänomen, das längst nicht mehr Fans und Kritiker allein beschäftigt. Auch die (Literatur-)Wissenschaft hat den Schreiberling aus Maine mittlerweile für sich entdeckt und bemüht sich um eine Neubewertung seines Werkes. Sein Scherflein zu einer vitalen wissenschaftlichen Diskussion beitragen kann hierbei der akademische Nachwuchs in Form von Hochschulschriften und Examensarbeiten - vorausgesetzt, besagte Arbeiten liefern wertvolle Impulse und genügen grundlegenden formalen Kriterien. Mit beiden hat die Hausarbeit von Thorsten Wilms so ihre Probleme.
Wilms unternimmt in seiner Arbeit "The Gothic King - Stephen King und die Tradition der Schauerliteratur" den Versuch, das Werk Stephen Kings am Beispiel der beiden frühen Romane "The Shining" (dt. Titel: "Shining") und "Salem's Lot" (dt. Titel: "Brennen muss Salem") in der Tradition der
Gothic Literature, im Besonderen der
American Gothic Fiction zu verorten und diese Einordnung anhand anschaulicher Belege zu untermauern. Seine Studie teilt sich hierbei in zwei große Blöcke: Im ersten Teil wird der definitorische Grundstein der Arbeit gelegt, indem einerseits ein literarhistorischer Abriss über die Entwicklung der
Gothic Fiction geliefert wird und zugleich die Spezifika der amerikanischen Variante der Schauerliteratur erläutert werden. Dabei baut Wilms seine Arbeit auf der in der einschlägigen Forschung bereits bekannten These auf, wonach die USA in ihrer vergleichsweise jungen Geschichte die Tendenz habe, Ereignisse, die dem Selbstbild einer gerechten demokratischen Nation widersprechen, zu verdrängen, ins kollektive Unterbewusstsein zu verbannen. Da nach Sigmund Freud die Wiederkehr des Verdrängten das Unheimliche evoziert, beschwöre die
American Gothic Fiction (im Gegensatz zu ihrem britischen Pendant à la Bram Stoker) ihre Geister und Dämonen aus dem in der Vergangenheit begangenen Unrecht herauf, aber auch aus "cultural anxieties", die traditionellen Wertvorstellungen widersprechen.
Daran schließt der zweite, textanalytische Teil der Arbeit an, in dem Wilms diese These anhand von "Shining" und "Brennen muss Salem" zu belegen versucht (auch durch vergleichende Betrachtungen mit anderen Autoren der
American Gothic Fiction wie Nathaniel Hawthorne, E. A. Poe und H. P. Lovecraft). Das Spektrum der im Keller des kollektiven Unterbewusstseins vergrabenen Leichen, denen Wilms in den beiden King-Romanen auf den Grund geht, ist hierbei breit gefächert und reicht von den Massakern an der indianischen Bevölkerung Nordamerikas über die Atomschläge gegen Japan im Zweiten Weltkrieg bis hin zum militärischen Engagement der USA in Vietnam und dem Watergate-Skandal.
Wilms' Hausarbeit wurde nach Verlagsangaben "als eine der erfolgreichsten und thematisch ungewöhnlichsten Arbeiten des Jahres auf der offiziellen Zeugnis-Verleihung der Universität hervorgehoben". Thematisch ungewöhnlich ist sie freilich, mehr, als ihr Titel zunächst vermuten lässt. Die Belege, mit denen Wilms die These von der Wiederkehr des Verdrängten als genuines Merkmal der amerikanischen Schauerliteratur mit Blick auf Stephen King unterlegt, lassen sich mehrheitlich nicht so einfach abtun und motivieren zu einer Neu-Lektüre zumindest ausgewählter King'scher Werke.
Doch thematische Originalität allein macht noch keine gute wissenschaftliche Arbeit aus; eine solche sollte eine nachvollziehbare argumentative Struktur besitzen und methodisch einwandfrei sein - umso mehr, wenn sie publiziert, sprich: an die Öffentlichkeit getragen wird. Und genau hier liegt im Falle von Wilms' Arbeit der Hund begraben: Qualitativ wie auch quantitativ besteht im textanalytischen Teil eine auffallende Imbalance, die sich besonders im Kapitel zu "Shining" bemerkbar macht. Während Wilms einige Thesen mit deutlichen Belegen aus dem Text untermauert, bleiben andere Ausführungen an der Oberfläche, wirken pauschalisierend und dürftig und kommen zuweilen sogar ohne jedwede Bezugnahme auf konkrete Stellen im Primärtext daher. Gerade in seiner "Shining"-Untersuchung wiederholt er sich zudem immerfort, wodurch die Arbeit mehrmals in einen Leerlauf gerät und nur unnötig aufgebläht wird. Hinzu kommen mehrere Ungenauigkeiten und Fehlinformationen, die einfach nicht passieren dürften: So bezeichnet Wilms E. T. A. Hoffmanns Erzählung "Der Sandmann" irrtümlich als Schauer
roman (S. 21), und in Bezug auf die Watergate-Affäre heißt es fälschlicherweise, ein "Team des White House" (S. 37) sei in das Watergate-Hotel eingebrochen (tatsächlich sind es Männer im Auftrag von Nixons
Committee to Re-elect the President gewesen). Sorgfältiges wissenschaftliches Arbeiten sieht anders aus. Auch kränkelt die Arbeit an einigen ungeschickten Formulierungen, unter denen folgende schlichtweg lächerliche wie sinnfreie Aussage aber eindeutig den Vogel abschießt: "Die [US-amerikanische] Regierung benutzt jedoch typische Gothic-Stilmittel, um die Bevölkerung auf eine Linie mit ihren Entscheidungen einzuschwören; Ronald Reagan betitelt die UDSSR später beispielsweise als 'Empire of Evil'" (S. 62). Hier wird suggeriert, ein US-Präsident hätte in den frühen Achtziger Jahren bewusst auf die literarische Tradition der amerikanischen
Gothic Fiction zurückgegriffen, wenn er von einem "Reich des Bösen" sprach!
Darüber hinaus scheint der Autor so seine Schwierigkeiten mit dem wissenschaftlichen Arbeiten zu haben: Zum einen verärgert ein unvollständiges Literaturverzeichnis, zum anderen übernimmt Wilms einige Zitate aus zweiter Hand - und dabei handelt es sich nicht etwa um schwer aufzutreibende Werke, für deren Beschaffung man sein Sparschwein auf dem Altar der hiesigen Fernleihe hätte opfern müssen, sondern um Schriften von C. G. Jung und Julia Kristeva, die in jeder halbwegs gut ausgestatteten Universitätsbibliothek zu finden sein sollten.
Zu den inhaltlichen Abstrichen gesellen sich ferner formale Mängel: Die Hausarbeit ist ein Sammelsurium an Flüchtigkeits- und Beistrichfehlern, die jede Lektüre zu einem zähen Unterfangen machen, das abwesende Lektorat ist angesichts des saftigen Preises ebenso blanker Hohn wie das lieblose Design des Taschenbuchs.
Die These, die Thorsten Wilms in seiner Hausarbeit verfolgt - die Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Unterbewusstsein als grundlegendes Charakteristikum der amerikanischen Schauerliteratur und seiner Ausprägung im Werk Stephen Kings -, verspricht viel, und hier und da gelingt es dem Autor sogar, durchaus interessante Belege zu präsentieren. Doch fehlende argumentative Stringenz, methodische Imbalance, vor allem aber die Pauschalisierungen, Fehlinformationen sowie der vermehrte Leerlaufmodus machen aus seiner Arbeit ein entbehrliches Büchlein, das sich dank schleißigem Lektorat und sprachlichen Mängeln nicht einmal sonderlich gut liest. Damit versäumt es Wilms, der seriösen wissenschaftlichen Debatte um den "King of Horror" wertvolle Impulse zu geben.
Das besprochene Werk ist auch als eBook zum Preis von 34,99 Euro erhältlich.Eine Leseprobe findet sich auf der Verlagshomepage.