Joe sitzt, nachdem er einen Raubüberfall begangen hat, im Knast - und zwar unglücklicherweise im berüchtigtsten Gefängnis Amerikas, aus dem es kein Entkommen gibt: Alcatraz. Man schreibt das Jahr 1954. Joe hat begreiflicherweise keine Lust, 40 Jahre Knast abzusitzen, aber ohne Hilfe kann er es nicht schaffen, von der Insel zu entkommen. Zum Glück ist seine Freundin Christine auf freiem Fuß und bereit, ihrem Geliebten bei der Flucht zu helfen. Doch das ist weit schwieriger als gedacht - Christine muss sich nicht nur mit gefährlichen Gangstern herumschlagen, die scharf auf die verschwundene Beute aus Joes Raubzug sind, sondern auch mit einem verknallten Polizeichef und vielen zwielichtigen Charakteren. Und während Joe in Alcatraz Stück für Stück an der Ausarbeitung eines Planes arbeitet, muss Christine draußen feststellen, dass Joe vielleicht nicht der ist, für den sie ihn hielt. Verschweigt er ihr etwas? Wo ist das Diebesgut? Und hat sich wirklich alles so abgespielt, wie sie glaubt?
Willkommen im San Francisco der 1950er ...
Das Point-and-Click-Adventure "1954 Alcatraz" versetzt den Spieler geradewegs in die 1950er Jahre nach San Francisco und verströmt dabei zeitweilig den Charme eines gediegenen Gangsterfilms - "Flucht von Alcatraz" lässt grüßen. Schauplatz und historischer Rahmen können durch Originalität punkten, vor allem, weil die Macher sich bemüht haben, nicht bloß an der Oberfläche zu kratzen, sondern die Atmosphäre, Kultur und Subkultur in die Story und die Settings mit einzubinden. So ist etwa Christine, eine der beiden spielbaren Hauptfiguren, Teil der Beatnik-Szene, interessiert sich für Jazz, Literatur und Poesie.
"1954 Alcatraz" hebt sich dadurch, dass das Spiel durchweg ziemlich ernst ist, schon mal ganz wohltuend vom Gros der Genrevertreter und von den anderen Daedalic-Titeln ab, die größtenteils auf Humor und schräge Momente setzen. Statt abgedrehter Storyelemente geht es meist realistisch zu - Homosexualität, Verbrechen, Alkohol und Gewalt ziehen sich durch die Handlung und sorgen für einen stellenweise recht packenden Handlungsverlauf und spiegeln das im Umbruch begriffene Amerika der damaligen Zeit wider. Die erwachsene Machart zeigt sich sogar in den Dialogen: Die Beteiligten fluchen gern und viel und Ausdrücke wie "Fick dich" sind nicht der Zensur zum Opfer gefallen. Auch der Soundtrack setzt deutlich auf die Atmosphäre der 1950er in San Francisco und gefällt durch jazzige Klänge.
Schöne Hintergründe, hässliche Figuren
Einen Bruch demgegenüber stellt leider die grafische Umsetzung dar. Die Entwickler haben auf eine comichafte Gestaltung der Personen gesetzt, sodass beispielsweise Joe, der in Alcatraz festsitzt und dort einen Fluchtplan ausarbeitet, wie ein kantiger Schrank aus einem Actioncomic wirkt. Eine realistischere Grafik hätte hier der Story besser zu Gesicht gestanden, ist aber letztendlich auch Geschmackssache. Hat der Spieler sich einmal in das Spiel eingefunden und ist in die Rollen von Joe und Christine geschlüpft, kann er über die groben Gesichtszüge mit ihren dicken Nasen und die unbeholfenen Bewegungen, die er in einem Game aus dem Jahr 2014 nicht mehr erwarten würde, einigermaßen hinwegsehen.
Die einzelnen Schauplätze und Umgebungen, die Joe und Christine im Spielverlauf besuchen, sind im Gegensatz zu den Personen gezeichnet und dadurch wesentlich feiner und ausgefeilter. Sie überzeugen mit Details und ihrer Anlehnung an die Originalschauplätze, lenken aber auch den Blick auf die nicht so gelungene Ausarbeitung der Figuren. Im Endeffekt wäre es definitiv besser gewesen, sich für eine einheitliche Gestaltung von Charakteren und Hintergründen zu entscheiden (und gegen die Polygon-Gesichter).
Kein Wow-Effekt bei den Rätseln
Was das Spielerlebnis selbst angeht, ist "1954 Alcatraz" unter den Point-and-Click-Adventures Mittelmaß - kein riesengroßer Kracher, der den Spieler stundenlang gebannt an den PC fesselt, aber auch nicht schlecht. Die Inventarrätsel sind insgesamt ziemlich leicht geraten; viele "Herausforderungen" sind keine - Christine knackt ohne das Zutun des Spielers Schlösser mit Hilfe von Haarnadeln, die sie immer wieder findet, und wie üblich gilt es wenig aufregende Gefälligkeiten für andere Personen zu erledigen, ehe Gegenstände oder Informationen als Belohnung herausspringen. Die Rätsel sind nie so ausgeklügelt, dass beim Spielen wirklich der Kopf raucht oder sich ein Wow-Effekt einstellt; vieles kennen Genrefans schon aus anderen Games.
Da mit zwei verschiedenen Charakteren gespielt wird, entsteht aber irgendwie doch der Eindruck unterschiedlicher Herausforderungen und Stimmungen. Der Part, den man als Joe übernimmt, ist ein typisches Flucht-aus-dem-Knast-Szenario - nach und nach erhält Joe in Alcatraz mehr Bewegungsfreiheit und kann sich den einen oder anderen nützlichen Gegenstand aneignen. Als Christine, die auf der Suche nach der Beute ist und sich um Joes Befreiung bemüht, bewegt der Spieler sich freier durch San Francisco, besucht heruntergekommene Bars und Clubs, dunkle Parks und winzige Appartements. Die Stadt verströmt hier gemäß dem zeitlichen Rahmen kein entspanntes Hippie-Flair, sondern wirkt düster und zwielichtig, gleichzeitig aber auch aufregend verrucht.
Alternatives Story-Ende
Nette kleine Auflockerung: Immer mal wieder steht der Spieler vor Entscheidungen - meist durch eine Auswahl in den Dialogen -, die den Handlungsverlauf leicht beeinflussen. Zum Schluss gibt es zwei alternative Enden der Geschichte, je nachdem, wie der Spieler sich im Finale entscheidet.
Fazit: Hier prallen Gegensätze aufeinander: Schön gezeichnete Schauplätze treffen auf unzeitgemäße 3-D-Charaktere, eine cool inszenierte Story in einem originellen Szenario trifft auf ein mittelmäßiges Spielerlebnis, das zwar nett ist, aber weder Hochspannung noch großartige Unterhaltung erzeugen kann (und dafür ist das Adventure dann auch zu teuer). Hier wäre definitiv noch mehr drin gewesen. Dennoch lohnt sich ein Blick in "1954 Alcatraz", allein schon, weil das Spiel nicht auf lustig macht, sondern es den Zeitgeist und die Stimmung einer spannenden Epoche einzufangen versucht - und dies stellenweise auch wunderbar hinbekommt!