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 Der Fall Sneijder


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Brutalität
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Am 4. Januar 2011 um 13:12 Uhr bricht die Welt des 60-jährigen Paul Sneijder zusammen. Er wird Opfer eines dramatischen Unfalls, der aus technischer Sicht nicht hätte passieren können, und überlebt, was genauso unmöglich erscheint: als Einziger von vier Passagieren eines abstürzenden Fahrstuhls, der mit allen erforderlichen Sicherungsmechanismen ausgestattet ist. Unter den Toten befindet sich seine geliebte Tochter.
Marie, die Tochter aus erster Ehe, war der Halt in Pauls Erwachsenenleben. Seine zweite Frau Anna, im Gegensatz zu ihm äußerst effizient und erfolgreich, und die gemeinsamen Zwillingssöhne, mit denselben Eigenschaften ausgestattet und Anna eng verbunden, sehen ihn als einen nutzlosen Versager und verbannen ihn bestmöglich aus ihren Leben beziehungsweise ihrer Wahrnehmung. Es geht so weit, dass Anna ihm stets untersagt hat, Marie bei sich zu Hause zu empfangen und sie ihren Halbbrüdern vorzustellen, die ebenso wenig von ihr wissen wollen.
Nun hat Paul die Urne mit Maries Asche in sein Arbeitszimmer gestellt, befasst sich mit Publikationen zu Aufzügen, verweigert sich jeglicher Psychotherapie und einem Prozess gegen den Aufzugshersteller und nimmt zum Entsetzen seiner klassebewussten, ehrgeizigen Frau eine Arbeit als Hundeausführer an, die ihm zunächst eine Art Erfüllung bietet. Mehr denn je versuchen Anna und er, einander aus dem Weg zu gehen. Paul ist gezwungen, sein bisheriges Leben Revue passieren zu lassen, und es offenbart sich ihm eine gewaltige Leere: Ohne Marie gibt es in seinem Leben nichts mehr, außer dem zunehmenden Hass gegen Anna und die Zwillinge, die ihn mit allen Mitteln zum "Funktionieren" zwingen wollen.

Es ist nicht unbedingt ein sehr sympathischer Protagonist, den der Autor präsentiert, und es gibt keine mitreißende, spannungsvolle Handlung im eigentlichen Sinne. Jean-Paul Dubois arbeitet mit Stimmungen und Gefühlswelten, die er in feinsten Nuancen darzustellen versteht. Von der Brutalität der Erinnerungen an den Unfall über die beklemmende Atmosphäre im Hause Sneijder bis hin zur befriedigenden Beschäftigung mit den Hunden, die Paul ausführt, vermittelt der Autor eine Fülle an sehr unmittelbar und nachhaltig wirkenden Eindrücken.
Der Leser findet sich in die Figur des antriebslosen, feigen Paul Sneijder ein, der sich jahrzehntelang der Tyrannei seiner selbst- und zielbewussten Frau und ihrer, wie Paul meint, ihr wie Klone ähnelnden Zwillinge unterworfen hat. Aus Feigheit hat er die Verbannung seiner Tochter aus seinem Heim akzeptiert. Als sie stirbt und er absurderweise in derselben Unglückskabine überlebt, selbstverständlich traumatisiert, leistet er zum ersten Mal Widerstand und versucht, seinen Weg zu gehen; allerdings zunächst ohne die geringste Vorstellung davon, wie dieser Weg aussehen soll.
In einem nur scheinbar schlichten Stil, jedoch jedes Wort sorgsam wählend, lässt der Autor, Paul zwischen Ebenen der Vergangenheit und der Gegenwart rastlos umherirren und vergeblich versuchen, sein ausgelöschtes Ich zu finden. Es gibt humorvolle - eher sarkastische - Zwischentöne, insgesamt bleibt die Stimmung jedoch bedrückt, und der Leser muss selbst entscheiden, ob Paul den schmalen Grat zum Wahnsinn überschritten hat oder nicht.
"Der Fall Sneijder" ist ein tief berührender Roman mit einem außergewöhnlichen Thema, der den Leser auffordert, in sich hineinzuhören und sein eigenes Leben zu hinterfragen, ohne belehrend zu wirken: Letztlich ist jeder Mensch auf sich gestellt in seinem Streben, zu überleben.


Weitere Informationen und eine Leseprobe (PDF) gibt es auf der Verlagsseite.

Regina Károlyi



Taschenbuch | Erschienen: 1. Januar 2014 | ISBN: 9783423249980 | Originaltitel: Le cas Sneijder | Preis: 14,90 Euro | 237 Seiten | Sprache: Deutsch

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