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Nach wie vor erscheinen zahlreiche Titel zum Ersten Weltkrieg. Meist geht es dabei um das unmittelbare Kriegsgeschehen. Einen anderen Schwerpunkt setzt dagegen der vorliegende Band "Kriegszeit", der die Auswirkungen des Krieges auf die ländliche Bevölkerung am Beispiel der brandenburgischen Stadt Belzig beziehungsweise des dazugehörigen Kreises Zauch-Belzig in den Blick nimmt. Dazu durchforstete der Autor John Shreve insbesondere zeitgenössische Zeitungsberichte, aus denen er immer wieder ausführlich zitiert. Auch die Kriegschronik eines Rektors sowie jene der Belziger Sanitätskolonne fließen in die Darstellung ein. Hinzu kommen diverse Archivmaterialien, unter anderem aus dem Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz.
Konzeptionell orientiert sich John Shreve an der Chronologie, da er Jahr für Jahr die Auswirkungen des Krieges auf die Bevölkerung im Kreis Zauch-Belzig beschreibt. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich dabei vom Kriegsbeginn 1914 bis hin zur Nachkriegssituation Ende 1918 sowie im Jahre 1919. Innerhalb der einzelnen Jahre wählt Shreve einen thematischen Zugriff, indem er kapitelweise verschiedenste Aspekte des ländlichen Lebens in Kriegszeiten darlegt. Die Anzahl der Themen schwankt für jedes Jahr beziehungsweise für jeden Zeitabschnitt – die Geschehnisse rund um die Novemberrevolution 1918 wurden nämlich ausgelagert – zwischen 26 und 60. Diese reichen von Problemen bei der Ernte über Ernährungsfragen bis hin zum Umgang mit verletzten Rückkehrern, Flüchtlingen oder Kriegsgefangenen.
Abgerundet wird der Band durch einen umfangreichen Anmerkungsapparat sowie durch ein präzise aufgegliedertes Quellen- und Literaturverzeichnis.
Der Ansatz klingt vielversprechend: Endlich einmal ein Band zum Ersten Weltkrieg, der nicht immer nur den Schwerpunkt auf Kriegsverlauf und Front setzt. Nein, in dem Band "Kriegszeit" von John Shreve stehen die alltäglichen Probleme und Lebensumstände jenseits der Front im Blickpunkt. Der Leser findet darin akribisch recherchierte Informationen zu vielfältigen Themen, welche die Kriegssituation in der brandenburgischen Stadt Belzig beziehungsweise des Kreises Zauch-Belzig nachzeichnen.
Zu Beginn liest sich das alles durchaus eindrucksvoll. Schließlich gelingt es dem Leser insbesondere anhand der zahlreichen zeitgenössischen Quellen, welche immer wieder ausführlich zitiert werden, in eine andere Zeit einzudringen. Doch mit der Zeit – und diese muss sich der Leser angesichts der gut 600 Seiten Textumfangs nehmen – wird der Band zunehmend langatmiger. Denn Shreve setzt insgesamt zu wenig Akzente in seiner Darstellung, sondern zeichnet lediglich anhand der Quellen die Situation nach. Was fehlt, ist die analytische Schärfe, um Veränderungen oder konstant bleibende Aspekte herauszuarbeiten. Im Grund ist dies ein konzeptionelles Problem, da der Autor versucht, die Themen Jahr für Jahr abzuarbeiten. Doch dies bedeutet auch, dass es immer wieder zu Überschneidungen kommt, so dass der Leser zunehmend das Gefühl hat, sich im Kreis zu drehen. Beispielsweise werden dem Leser drei unterschiedliche Kapitel zugemutet, die alle mit der Überschrift "Die Landwirtschaft" bezeichnet werden. An sich stellt dies noch kein Problem dar; was jedoch ausbleibt, ist, dass Shreve die Informationen gegenseitig in Beziehung setzt, so dass beim Leser lediglich einzelne Informationsfetzen, aber keine strukturellen Erkenntnisse zurückbleiben. Der Band ist daher mehr eine Dokumentation als eine geschichtswissenschaftlich angelegte Studie.
Nicht nachvollziehbar ist zudem, warum Shreve in seiner lokalgeschichtlich orientierten Fallanalyse immer wieder das Kriegsgeschehen – beispielsweise in Belgien oder an der Ostfront – in eigenen Unterkapiteln erläutert. Natürlich wirken sich die Ereignisse dort auf die "Heimat" aus, aber in einer derart angelegten Studie muss das – sofern inhaltlich überhaupt notwendig – in die lokalgeschichtliche Analyse eingearbeitet werden. Ansonsten wirkt dies wie im vorliegenden Band deplatziert.
Doch es ist keineswegs alles unbefriedigend: Die Stärke des Bandes liegt vor allem in der vorbildlichen Recherchearbeit John Shreves, der durchgehend aussagekräftige Dokumente in seine Darlegungen mit einfließen lässt. So erhält der Leser einen authentischen Blick und erfährt zahlreiche interessante Details. Keineswegs störend ist es dabei, dass diese einen lokalen Hintergrund aufweisen, da die Gesamtsituation sowie die angesprochenen Probleme sicherlich auf zahlreiche Gemeinden des Deutschen Reiches zutreffend waren.
Dennoch: Insgesamt fehlen dem Band die ordnende Hand und die analytische Kraft, um mehr zu bieten als eine bunte Mischung von Fakten und authentischen Zeugnissen, die zwar für sich genommen durchaus interessant und aussagekräftig sind, insgesamt aber keine tiefer gehenden Erkenntnisse liefern.
Weitere Informationen zum Buch sowie eine Leseprobe finden sich auf der Webseite des Verlags.