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Warum konnte ein Mann wie Adolf Hitler eine Diktatur in Deutschland errichten? Es gibt wohl keine Frage, die in Bezug auf die Person Adolf Hitlers drängender erscheint, damit entsprechende Lehren aus der Vergangenheit gezogen werden. Schnell geraten bei dieser Frage die öffentlichen Auftritte des "Führers" in den Blick, der die Selbstdarstellung liebte. Gerne nutzte er dabei auch symbolisch aufgeladene Orte oder Zeitpunkte. Trotz dieses Umstands wurde jene Form von "Symbolpolitik" in der Forschung bisher weitgehend ausgeklammert. Lediglich Massenveranstaltungen wie die Reichsparteitage wurden mehr oder weniger ausführlich untersucht. Allerdings richtete sich der Blick dabei meist auf die Form und weniger auf die inhaltlichen Aspekte.
Dies alles nimmt Christoph Raichle zum Anlass, in seiner Dissertation die "Symbolpolitik" Hitlers einer systematischen Analyse zu unterziehen. Dabei beschreitet er auch methodisch neue Wege. Denn im Gegensatz zum häufig angewandten Charisma-Konzept des Soziologen Max Weber (1864 bis 1920), welches allein nach den Fähigkeiten einer charismatischen Person suchte, erweitert er diesen Ansatz um eine kultursoziologische Komponente. Oder anders gesagt: der Charismatiker Hitler agierte nicht nur, sondern reagierte auch auf die Stimmungen und Sehnsüchte der damaligen Bevölkerung. Für Raichles Ansatz bedeutet dies, dass er somit neben dem offiziellen NS-Schrifttum (Presse- und Propagandaerzeugnisse) sowohl Dokumente aus dem Umfeld Hitlers als auch aus Bevölkerungskreisen berücksichtigt. Zentral sind dabei sogenannte Ego-Dokumente wie Tagebücher, Briefe oder Erinnerungen.
Aufgrund des umfangreichen Forschungsansatzes setzt Christoph Raichle zwei Schwerpunkte in seiner Untersuchung. Zum einen blickt er auf das Jahr 1933, in welchem Hitler geschickt den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg in seine "Symbolpolitik" miteinbezog, um seine Wandlung "vom Parteiführer zum Staatsmann" zu vervollständigen. Zum anderen betrachtet er die Jahre 1939 und 1940. Denn mit Beginn des Zweiten Weltkrieges stilisierte sich Hitler zunächst als "Erster Soldat", bevor er schließlich ab dem Frankreich-Feldzug die Rolle des Feldherrn symbolträchtig für sich beanspruchte.
Ein mutiges Unterfangen, welches Christoph Raichle da eingeht: eine Dissertation zu Adolf Hitler. Lässt sich der Person Adolf Hitlers überhaupt noch etwas Neues abringen oder ist nicht bereits alles Wichtige gesagt und geschrieben worden? Skeptisch liest der Leser die ersten Seiten und wird sogleich positiv überrascht: Ja, hier brüht jemand nicht nur auf, sondern erweitert das Hitler-Bild um zahlreiche interessante Aspekte. Oder wussten Sie, dass Hitler wie ein Schauspieler am Vortag des Waffenstillstandes mit Frankreich in Compiègne den Ablauf übte, um ja keinen Fehler vor der versammelten Presse zu begehen?
Stets arbeitet Raichle dabei sehr quellennah und analysiert mittels eines überzeugenden theoretischen Konzepts, das sowohl die Person Hitlers als auch sein Umfeld und die deutsche Bevölkerung in Beziehung setzt, scharfsinnig, wie Hitler auf raffinierte Weise seine labile charismatische Herrschaft durch symbolische Akte festigte. Bei seiner Analyse zeigt er zudem ein feines Gespür, um einzelne Quellenbefunde miteinander in Beziehung zu setzen. Auf diese Weise entsteht ein ungeheuer dichtes Werk, welches tief in die Materie eindringt. Und obendrein ist es trotz des hohen wissenschaftlichen Anspruchs sehr kurzweilig zu lesen, da die einzelnen Kapitel durch viele kleinere Zwischenüberschriften untergliedert sind, wodurch der Leser gekonnt durch das Buch geleitet wird.
FAZIT: Christoph Raichle zeigt, dass über die Person Hitlers bei Weitem noch nicht alles gesagt und geschrieben wurde. Ein tiefsinniges und aufschlussreiches Buch, welches zudem noch gut lesbar ist.
Weitere Informationen sowie eine Leseprobe finden sich auf der Webseite des Verlags.