Gesamt |
|
Anspruch | |
Aufmachung | |
Bildqualität | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Baumwolle als Schlüssel der modernen Welt: Mit dieser provokanten These wartet Sven Beckert, der Verfasser des vorliegenden Buches auf. Auf den rund 400 Seiten, welche die Darstellung selbst umfasst, stellt er die Baumwolle ganz in den Mittelpunkt seiner Geschichte des Kapitalismus. Zentral ist für ihn dabei die Frage, wie es sein konnte, dass
"nach vielen Jahrtausenden schleppenden ökonomischen Wachstums einige Teile der Menschen im späten 18. Jahrhundert plötzlich viel reicher wurden als andere". Für Beckert führt die Lösung dieses Rätsels über den Baumwollhandel, welcher zahlreiche globale Prozesse in Gang setzte, auf denen letztlich das von europäischen Staaten geprägte kapitalistische Wirtschaftssystem fußte.
Niemals zuvor in den fünf Jahrtausenden der Geschichte der Baumwolle war ein solch weltumspannendes System entwickelt worden.
Im Gegensatz zu manch anderen beginnt Sven Beckert seine Geschichte des Kapitalismus nicht erst mit dem Beginn der Industriellen Revolution um 1780, sondern weitaus früher mit einer Phase, die er "Kriegskapitalismus" nennt. Kern dieser Phase sei die gewaltsame Enteignung von Land und Arbeitern in Afrika, Asien und Amerika gewesen. Damit schufen europäische Staaten, insbesondere Großbritannien, ein globales wirtschaftliches Netzwerk, in welchem - so Beckert - die Erzeugnisse indischer Weber dazu genutzt wurden, Sklaven als Afrika anzukaufen, mit deren Hilfe wiederum in Amerika Agrarprodukte für europäische Verbraucher hergestellt wurden. Damit aber nicht genug: Mit geistigem Know-how aus Indien und ein wenig Hilfe in Form von staatlichem Protektionismus entwickelte sich in Europa und im Speziellen in Großbritannien zunehmend eine prosperierende Baumwollindustrie, die fortan die Weltwirtschaft entscheidend lenken sollte. Mit der Mechanisierung der Garnherstellung wurde schließlich der sogenannte "Industriekapitalismus" eingeleitet, welcher Europa und später auch die USA immer mehr ins Zentrum der Textilindustrie rücken ließ. Grundlage hierfür war ein weitverzweigtes Netzwerk aus Kaufleuten, Baumwollmaklern, Importeuren, Kreditgebern und Kommissionären. So entstand ein regelrechtes Baumwollimperium, welches fortan den Kern des Kapitalismus bilden sollte.
Nie zuvor hatte man mit Erzeugnissen indischer Weber Sklaven in Afrika gekauft, damit diese auf Plantagen in Amerika arbeiteten, wo sie Agrarprodukte für europäische Verbraucher herstellten.
Ein starkes Stück Wirtschaftsgeschichte, das Sven Beckert hier vorlegt. Denn selten ist es einem Autor bisher gelungen, die komplexe Geschichte des Kapitalismus derart einleuchtend darzulegen. Als zentraler Schachzug erweist sich dabei vor allem der innovative und geistreiche Ansatz, die Geschichte des Kapitalismus durchgängig mit dem Rohstoff Baumwolle zu verknüpfen. Auf diese Weise gelingt es Beckert nicht nur, so manche altgediente Weisheit ins rechte Licht zu rücken, sondern er zeigt auch, auf welch einem komplexen System der Kapitalismus fußt. Gerade zu brillant fächert er dabei die Strukturen des europäischen und nordamerikanischen Baumwollimperiums auf und schafft so ein tieferes Verständnis für die weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen, welche der Kapitalismus schuf.
Noch nie zuvor hatte eine Industrie die Aktivitäten so vieler Produzenten, Fabrikanten und Konsumenten über so weite Entfernungen miteinander verbunden.
Nicht selten fasst Beckert seine Erkenntnisse in provokanten Thesen zusammen:
"Europas Weg zur Baumwollverarbeitung gründete also tatsächlich auf einen der, wenn man so will, drastischsten Fälle von Industriespionage." Doch was häufig zunächst provokant klingt, basiert auf klugen Herleitungen und nicht selten auch auf zahlreichen statistischen Daten. Hinzu kommen viele Fallbeispiele wie jenes von Samuel Greg, einem Spinnereibesitzer aus Manchester, welcher mit einer wegweisenden Erfindung vom "local" zum "global player" wurde. Mal mehr, mal weniger ausführlich sind es gerade diese Fallbeispiele, welche das Buch aus der abstrakten Ebene heben und in eine gut lesbare Mischung verwandeln. Trotz der hohen inhaltlichen Komplexität bleiben Beckerts Ausführungen zudem sehr gut nachvollziehbar, da er stets die Fragen und Bedenken, welche sich beim Lesen ergeben könnten, im Blick behält und gegebenenfalls auch aufgreift. Außerdem erleichtern auch die kurzen, mit entsprechenden Überschriften versehenen Teilabschnitte innerhalb der einzelnen Kapitel die Lesbarkeit des Bandes. Nicht zuletzt finden sich in dem Band weiterhin zahlreiche Schwarz-Weiß-Fotografien, Diagramme sowie Karten, auch wenn die Aussagekraft bei letzteren aufgrund fehlender Legenden gering ist.
FAZIT: Mit diesem Sachbuch schreibt Sven Beckert ein brillantes Lehrstück des Kapitalismus. Tief dringt er dabei am Beispiel des Baumwollhandels in die globalen Verflechtungen ein und entschlüsselt so die Funktionsweise der kapitalistischen Wirtschaftsordnung.
Weitere Informationen zum Buch, ein Blick ins Inhaltsverzeichnis sowie eine Leseprobe finden sich auf der Webseite des Verlags.