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 Willy Brandt: Politisches Handeln und Demokratisierung


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Obwohl Willy Brandt nur fünf Jahre als Bundeskanzler amtierte, gehört er wohl zu den wirkmächtigsten Politikern der deutschen Nachkriegsgeschichte. Schließlich leitete er mit seiner "neuen Ostpolitik" eine grundsätzliche politische Richtungsänderung ein, die ihm parteiübergreifend Anerkennung einbrachte. Nicht umsonst hat er auch 1971 den Friedennobelpreis erhalten. Doch Willy Brandts politisches Vermächtnis lässt sich nicht allein auf diese "neue Ostpolitik" reduzieren. Denn wie die vorliegende Publikation zeigt, leistete er zum einen auch einen vermittelnden Beitrag zur Demokratisierung Südeuropas in den 1970er Jahren. Zum anderen zeigte er bereits früh entwicklungspolitisches Engagement und war damit seiner Zeit voraus. Grundlegend für diese Politik waren insbesondere seine Erfahrungen während der Exiljahre in Skandinavien zwischen 1933 bis 1945. Aus diesem Grund liegt der dritte Schwerpunkt des Bandes genau in diesem Zeitraum, da dort die politische Ausrichtung Willy Brandts geformt wurde.

Insgesamt enthält der Band, welcher dem ersten "Willy Brandt Symposium" der gleichnamigen "Professional School of Public Policy" der Universität Erfurt entsprang, acht thematische Aufsätze zu den drei angesprochenen Schwerpunkten. Hinzu kommen einleitende Bemerkungen sowie ein rückblickender Zeitzeugenbericht von Dietmar Herz, aktuell Staatsekretär im Justizministerium des Freistaats Thüringen, in dem er seine persönlichen Eindrücke zum Wirken Willy Brandts zum Ausdruck bringt.

Eigentlich ist zu Willy Brandt bereits viel geschrieben worden. Nichtsdestotrotz erarbeitet dieser unscheinbare Sammelband bislang weniger beachtete Facetten im Wirken Willy Brandts. Aufschlussreich ist dabei nicht nur der Blick in die jungen (politischen) Jahre, in welchen Willy Brandt stark durch die Exil-Eindrücke in Norwegen und Schweden geprägt wurde. Auch seine Position im Umgang mit dem Franco-Regime arbeitet Antonio Munoz Sánchez überzeugend heraus. Denn hier bestreitet Willy Brandt einen sozialdemokratischen Sonderweg, indem er den Kontakt mit Vertretern der spanischen Regierung suchte und damit ähnlich wie bei den kommunistischen Staaten einen "Wandel durch Annäherung" erzeugen wollte. Willy Brandt zeigt sich dabei als ein pragmatisch denkender Politiker ohne ideologische Scheuklappen, der auch nicht vor umstrittenen, vielleicht sogar skandalösen Entscheidungen zurückschreckte. Immerhin setzte die Regierung Brandt Spanien künstlich auf die Liste der Entwicklungsländer, um weiterhin Staatskredite zur Verfügung stellen zu können.

Gewinnbringend ist nicht zuletzt, dass der Band im Rahmen von zwei Aufsätzen Brandts visionären Blick für die Entwicklungspolitik berücksichtigt. Ganz im Gegensatz zu seinem Nachfolger Helmut Schmitt trat Brandt der Denkweise des Kalten Krieges entgegen und definierte Sicherheitspolitik als Friedenspolitik, die das globale Gefüge berücksichtigte und nicht unter dem Dogma der Abschreckung stand.

Eine Sonderrolle nehmen die beiden Aufsätze " 'Wie Samen und Keime der Freiheit ...' – Zum deutschsprachigen Exil in Schweden und seiner Publizistik" und "Die Eigentümlichkeiten des griechischen Transformationsprozesses (1974 bis heute) und das Problem ihrer Verkennung" ein, da diese Willy Brandt nicht direkt in den Mittelpunkt stellen. Bei ersterem wirft Helmut Müssener einen allgemein gehaltenen Blick auf die schwedischen Exilanten, zu denen ja auch Willy Brandt zählte. Gerade die Zeitumstände von Brandts Exilzeit werden hier fundiert in einen größeren Zusammenhang gesetzt. Beim zweiten Aufsatz legt Lazaros Miliopoulos eine Ursachenanalyse des aktuellen Griechenland-Konflikts dar und erwähnt dabei am Rande auch Willy Brandts Haltung zur ab 1981 regierenden Partei "PASOK". auf deren "linksgedrehten Nationalismus" er mit "Befremden" reagierte. So spannend der Aufsatz auch ist – schließlich findet er einsichtige Antworten auf die eigenartige Politik- und Gesellschaftsentwicklung in Griechenland – so sehr fragt sich der Leser, ob die kurze Bezugnahme auf Willy Brandt die Aufnahme des Aufsatzes in diesen ansonsten thematisch klar fokussierten Sammelband rechtfertigt.

Nicht gerade störend, aber zumindest anzumerken ist, dass der Beitrag "Die Nelken brauchen jetzt Wasser! – The SPD and the Portuguese transition to democracy" nur in der englischen Originalfassung abgedruckt wurde. Im Gegensatz dazu findet sich zum zweiten nichtdeutschsprachigen Aufsatz des Bandes "Wandel durch Annäherung in Spanien - Willy Brandt und das Franco-Regime (1964-1975)" eine übersetzte Version. Ähnlich wie die Mehrzahl der Beiträge ist dieser so verständlich abgefasst, dass er nicht nur Experten anspricht.

FAZIT: Ein unscheinbarer Sammelband, der weniger beachtete Facetten im Wirken Willy Brandts berücksichtigt. Überzeugend klar arbeiten die Autoren dabei die Einflüsse und politischen Positionen Willy Brandts heraus.

Weitere Informationen zum Buch sowie ein Blick ins Inhaltsverzeichnis finden sich auf der Webseite des Verlags.

Matthias Jakob Schmid



Softcover | Erschienen: 18. Februar 2015 | ISBN: 9783863880767 | Preis: 33,00 Euro | 270 Seiten | Sprache: Deutsch, Englisch

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