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München spielte im nationalsozialistischen Unrechtsstaat eine besondere Rolle: 1923 probte Adolf Hitler hier erstmals den Aufstand gegen die Demokratie, 1933 errichtete er im nahegelegenen Dachau das erste Konzentrationslager und das Münchener Abkommen im Jahre 1938 erweist sich im Rückblick als Fanal für den Zweiten Weltkrieg. Hinzu kommt, dass München die Stadt der NSDAP war. Nicht umsonst befand sich mitten im Zentrum das "Braune Haus", die Parteizentrale der NSDAP. Seit dem 1. Mai 2015 stellt sich die Stadt München nun dieser dunklen Vergangenheit mit einem NS-Dokumentationszentrum, das zugleich als "Lern- und Erinnerungsort" dient. Genauso wie der vorliegende Begleitband soll dieses sowohl Zeugnis ablegen als auch Mahnung dafür sein, dass Demokratie scheitern kann, wenn die Gesellschaft nicht wachsam ist.
Der Band gliedert sich in zwei grundlegende Bereiche: Im ersten Teil, dem Katalog, dokumentiert der Herausgeber Winfried Nerdinger anhand von zahlreichen Bild- und Textdokumenten den Aufstieg der Nationalsozialisten in München sowie die Ausdifferenzierung der "Volksgemeinschaft". Zwei weitere Abschnitte beschäftigen sich mit den Veränderungen in München während des Zweiten Weltkriegs und mit der Aufarbeitung der NS-Herrschaft in der unmittelbaren Nachkriegszeit beziehungsweise der Erinnerungskultur der Stadt München bis in die Gegenwart. Im zweiten Abschnitt folgen dann 19 Aufsätze zu verschiedensten Aspekten (zum Beispiel Gewalterfahrung, Profiteure, Kirchen, Kultur, Widerstand und vieles mehr), die in ihrer Gesamtheit das Wesen dieses totalitären Staates beschreiben und erklären.
Abgeschlossen wird der Band letztlich durch vier Kommentare, welche aus jüdischer, amerikanischer, polnischer und französischer Sicht der Frage nachgehen, ob die Deutschen die Verantwortung für ihre NS-Vergangenheit übernommen haben. Außerdem findet der Leser am Ende ein Orts- und Namenregister.
Es ist geschehen, folglich kann es wieder geschehen.
(Aussage des Holocaust-Überlebenden Primo Levi, welche über dem Eingang des neugegründeten NS-Dokumentationszentrums München steht)
Schwer lastet nicht nur dieser Band, sondern auch die Vergangenheit, welche jener beinhaltet. Denn was der Nationalsozialismus anrichtete, muss heute als verabscheuungswürdig und zutiefst menschenunwürdig gelten. Umso wichtiger erscheint es, dass die Erinnerung an diese dunkle Zeit nicht verblassen darf. So ist das neugegründete NS-Dokumentationszentrum im Herzen der Stadt München, und damit auch dieser Begleitband ein unzweifelhaft begrüßenswertes Vorhaben.
Beeindruckend am ersten Teil des Bandes, dem Ausstellungskatalog, ist vor allem die Materialfülle. Dieser enthält sowohl unzählige Bilddokumente als auch zahlreiche Faksimile-Abbildungen. Voller Beklemmung vertieft sich der Leser so in geheime Befehle, bürokratisch verfasste und dadurch zynisch erscheinende Meldeberichte oder in amtliche Verlautbarungen, welche tief gehende Einblicke in die Denkweise der Täter ermöglichen und dadurch den NS-Unrechtsstaat in seiner ganzen Form offenlegen. Immer wieder finden sich zudem biografische Skizzen, die Tätern wie Opfern ein "Gesicht" geben und somit verdeutlichen, dass hier kein abstraktes System am Werke war, sondern Menschen die Verantwortung tragen.
Vorbildlich sind die Erläuterungen zu den einzelnen Dokumenten, welche diese präzise in den Gesamtkontext einordnen. Einzig die Abbildungsgrößen sind zum Teil etwas allzu klein. Besonders deutlich wird dies zum Beispiel bei verschiedenen Karten, deren Beschriftung geradezu mikroskopisch wirkt. Auf der anderen Seite finden sich jedoch auch viele Dokumente in einwandfreier Größe. Die Abbildungsqualität ist sowieso ganz hervorragend und die gute Papierqualität bürgt für Langlebigkeit. Nicht zuletzt enthält der Band zwei praktische Lesebändchen, eines für den Katalogteil und ein zweites für die begleitenden Aufsätze.
Obwohl sich die Leser aufgrund der hohen Anschaulichkeit wohl zuerst eher dem Katalog zuwenden werden, lohnt sich auch ein Blick in die Aufsätze des zweiten Teiles. In kompakter Form erläutern hier renommierte Fachwissenschaftler allgemein verständlich, wie der Nationalsozialismus auf verschiedensten Ebenen seine charakteristische Form in der deutschen Gesellschaft entfalten konnte. Stellvertretend sei hier beispielsweise der Beitrag von Gerhard Paul erwähnt, welcher die verändernden und von den Nationalsozialisten bewusst aufgegriffenen neuen Seh- und Hörgewohnheiten thematisiert. Auch wenn sechs der neunzehn Aufsätze dezidiert die Entwicklung in der Stadt München in den Blick nehmen, so bieten die Aufsätze im Gesamten einen hervorragenden Einblick in die gesellschaftliche Beschaffenheit und Wirkungsmechanismen eines totalitären Staates.
FAZIT: Ein äußerst material- und erkenntnisreicher Begleitband zum neuen NS-Dokumentationszentrum in München, der mit beeindruckender Klarheit zugleich Zeugnis ablegt und als Mahnung dient. Ganz nach dem Motto des Holocaust-Überlebenden Primo Levi:
"Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen."Weitere Informationen zum Buch, eine Leseprobe sowie ein Blick ins Inhaltsverzeichnis finden sich auf der Webseite des Verlags.