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Wer kennt sie nicht: die Bilder von zerbombten Städten nach dem Zweiten Weltkrieg. Alles in Schutt und Asche. Ein unwirklicher Ort, der weiß Gott nicht auf eine unbeschwerte Kindheit hindeutet. Dies wird sie wohl auch nicht gewesen sein, doch zeigen die in diesem Band vorgestellten Exponate, dass es nicht die glitzernde Konsumwelt des 21. Jahrhunderts braucht, um Kinderherzen höher schlagen zu lassen. Es ist vielmehr die Liebe zum Detail, der Einfallsreichtum aus einfachen Dingen etwas zu erschaffen sowie die Fantasie der Kinder, welche das aus der Not heraus gebastelte Spielzeug zum Leben erweckt.
In sieben Kategorien geordnet (Theater, Ferne Welten, Puppen, Technik, Fahren, Tiere und Stadtleben) versammelt dieser Ausstellungsband des Spielzeugmuseums Nürnberg private Leihgaben von Bürgern, welche das Kriegsende und die Nachkriegszeit als Kinder miterlebt haben. Zu jedem präsentierten "Notspielzeug" finden sich Angaben zum Material, zur Herstellungszeit sowie die Namen der Gestalter. Hinzu kommt jeweils die Geschichte der Gegenstände, welche der jeweilige Leihgeber in unterschiedlicher Ausführlichkeit darlegt. Ergänzende Fotografien aus dem Familienumfeld, häufig mit dem entsprechenden Spielzeug darauf, runden die Vorstellung ab.
Das Auto hat mein Onkel Hans aus einer Holzkiste gebaut. (...) Das Auto konnte man nicht lenken, es war ein Vorwärts-Rückwärts-Auto.
Gerade bei älteren Lesern werden bei der Betrachtung dieses Bandes sowie beim Lesen der dazugehörigen Geschichten so einige Erinnerungen an ihre eigene Kindheit hochkommen. Die Herstellungszeit der präsentierten Exponate reicht von 1943 bis 1960, wobei der Schwerpunkt deutlich auf dem Zeitraum zwischen 1945 und 1950 liegt. Die Gestalter eines "Notspielzeuges" waren nicht nur Eltern oder auch Großeltern, wenngleich diese in der Mehrheit sind, sondern es finden sich auch Nachbarn und Bekannte sowie Kinder selbst, die mit viel Liebe zum Detail und zugleich mit einfachsten Mitteln etwas geschaffen haben, das nicht nur damals etwas ganz Besonderes war. Beeindruckend ist gerade für den heutigen Betrachter, dass in einigen Exponaten auch technisches Know-how zum Ausdruck kommt. Allein drei Mal findet sich in dem Band beispielsweise ein funktionsfähiger Kinderherd, der in einem Fall sogar durch ein selbst gebasteltes Spielzeugradio ergänzt wurde. Derartige Doppelungen, beispielsweise auch bei Puppen oder Puppenstuben, sind indes ein weiteres typisches Kennzeichen des Bandes, so dass dieser eher Spielzeugliebhaber anspricht als historisch interessierte Leser.
Meine Schwester konnte gleichzeitig Fleischküchle braten und dabei Radio hören!
Die Gestaltung des Bandes erfüllt alles, was sich Leser von einem ästhetisch ansprechenden Ausstellungsband wünschen. Die Exponate werden groß, auf einer eigenen Seite abgebildet. Hinzu kommen ergänzende Fotografien, welche häufig den Gegenstand in Aktion zeigen. Selbst auf Familienfotos finden sich bisweilen diese liebgewonnenen Gegenstände, mit denen in Einzelfällen sogar die Enkel heute noch spielen. Der Band gibt den einzelnen Gegenständen viel Raum und selbst die ergänzenden Fotografien sind so angeordnet, dass die Seiten nicht überladen wirken. Der zum Teil verwendete pastellfarbene blaue Hintergrund und die dezente weiße Rahmung der Fotografien mit einer dazugehörenden Schattierung lassen diese wie aus Omas längst vergessenem Fotoalbum wirken. Nichtsdestotrotz kann der Band bei sehr detailreichen Gegenständen - zum Beispiel bei Puppenstuben - nur einen ungefähren Eindruck vom realen Objekt vermitteln, da beispielsweise die Größe, zu der sich auch keinerlei Angaben finden, nicht vermittelt wird.
Das Besondere an der Eisenbahn ist, dass man sie befeuern kann: Hinter das kleine Türchen haben wir Papier oder Trockenspiritus gesteckt und angezündet.
Eine Besonderheit des Bandes ist in jedem Fall die von dem Leihgeber erzählte Geschichte zum präsentierten "Notspielzeug". Für den Leser hält sich der Erkenntniswert bei diesen Erinnerungen allerdings teilweise in Grenzen, da nicht hinter jedem Gegenstand eine besondere Geschichte steckt. Aussagen wie
"Mein Puppenwagen befindet sich noch im Originalzustand, es wurde nichts verändert. Der blaue Farbanstrich stammt aus dieser Zeit. Auch meine Enkelkinder spielen gerne damit." zeugen zwar von einer starken persönlichen Bindung, sind allerdings für den interessierten Leser etwas zu lapidar. Was jedoch in nahezu allen Aussagen zum Ausdruck kommt - egal wie lang oder kurz diese sind - ist, dass hinter den selbst gebastelten Spielzeugutensilien eine ungeheure Wertschätzung steckt, die weit mehr wert ist als der materielle Wert selbst.
Vermissen wird der Leser vor allem einen einleitenden Aufsatz wie es heutzutage für derartige Publikationen üblich ist. Denn allzu gern möchte dieser mehr über den Kontext wissen, in dem dieses "Notspielzeug" zum Einsatz kam. Denn natürlich bieten die persönlichen Erinnerungen, welche jedem Exponat beigefügt wurden, Einblicke, aber eben keine fachgerechte Einordnung.
FAZIT: Ein ästhetisch wohlgestalteter Ausstellungsband, der das vorgestellte "Notspielzeug" mit genauso viel Liebe präsentiert wie ihre Gestalter. Inhaltlich hält sich der Erkenntniswert des Bandes jedoch zu sehr in Grenzen.
Weitere Informationen zum Buch, eine Leseprobe sowie ein Blick ins Inhaltsverzeichnis finden sich auf der Webseite des Verlags.