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Ein Samurai kniet in ritueller Haltung auf dem Boden und begeht Seppuku. Er hat sich bereits den Bauch aufgeschlitzt und hält sichtbar den Messergriff in der rechten Hand. Seine Gedärme sind herausgequollen und liegen vor ihm in einer großen Blutlache. Ein Lächeln geht über sein Gesicht und er ruft mit dem Blick auf seine Gedärme erstaunt aus: "Donnerwetter, ich hab ja Krebs!"
Diese erste schwarz-weiße Zeichnung von Franquin findet sich auf der ersten Seite dieses einzigartigen Machwerks.
Der große Künstler Franquin, schwer an Depressionen leidend, die ihn fast völlig hindern zu arbeiten und zu zeichnen, erfindet sich neu und macht zum Thema, was ihn zu vernichten droht. Unglaublicherweise findet sich der Verlag dazu bereit, diese "Zeichnungen" zu drucken. Es ist eine Sammlung kurzer Comicstrips, die ihresgleichen suchen.
Wem die Schilderung eingangs Übelkeit verursacht oder wer schlechte Nerven hat, sollte diesen Band niemals auch nur anschauen.
Wer aber die Seele eines Depressiven von innen sehen will, wer einem begnadeten Künstler dabei zusehen möchte, wie er den inneren Dämon zeichnet, abbildet und der Lächerlichkeit preisgibt, wer über eine riesige Portion schwärzesten Humors verfügt und über sich selbst und sein oft lächerliches Bedürfnis nach Sicherheit lachen kann, dem sei dieses Kunstprodukt wärmstens empfohlen.
Wenn Franquin die Manierismen und Eigentümlichkeiten des Menschen aufs Korn nimmt und seine absurden Hoffnungen karikiert, bleibt kein Auge trocken. Jawohl, diese Bilder sind urkomisch. Man lacht sich kaputt, schmunzelt über die "armen Schweine", die er lebendig werden lässt, und lächelt über die grotesken Schicksale, die den kleinen knubbeligen Männchen, ein wenig erinnern sie an Mordillos glückliche Deppen, zeichnerisch drohen.
Wenn ein Mann zu seiner Frau sagt: "Komm, lass uns schlafen gehen, morgen sieht die Welt schon wieder anders aus!", er aber mit ihr auf einem winzigen Stückchen der zerplatzten Erde steht, gerade noch Platz bietend für einen Baum und ihr Haus, wird die Absurdität dieses Ausspruchs überdeutlich.
Sehr viel schwarze Tusche und viel Zeit sind in dieses Werk investiert worden. Jede einzelne Zeichnung ist ein Kunstwerk für sich und voller kleinster Details. Mit Akkuratesse und sicherem Gespür für Wirkung und Prägnanz hat Franquin einen "Comic" geschaffen, den es so nicht noch einmal gibt und vielleicht auch nicht wieder geben wird. Meine Achtung gilt dem Künstler, der schonungslos und selbstzerfleischend sein Innerstes offenbart, um es sezieren zu können, und dem Verlag, der Mut bewiesen hat, dies auch zu veröffentlichen. Denn leicht wird es dem Betrachter nicht gemacht. Allzu oft fühlt er sich selbst offenbart und in seinen Vorstellungen, seinem Glauben und seinen Werten angegriffen.
Fazit: Ich halte "Schwarze Gedanken" für genial. Doch Vorsicht: Seine Comic-Strips sind derart brutal und gnadenlos, rücksichtslos und meilenweit entfernt von jeder "political correctness", so dass einige Menschen sich auf den Schlips getreten fühlen könnten. Jäger, Militärs, Biedermänner und Christen werden hart angegangen und müssen schon über ein robustes Selbstbewusstsein verfügen, um nicht beleidigt zu sein.
Wer aber tabulos und militant pazifistisch dem Tod in unzähligen Erscheinungsformen begegnen will, wer mehr über die Gemütslage und das künstlerische Vermögen eines Depressiven erfahren will und wer dem Genie Franquins, der durch "Gaston" weltberühmt wurde, zugetan ist, sollte diesen Comic sofort erstehen.
Seltsamerweise erhält man den Band mit einem anderen Cover als dem, der auf den Abbildungen bei amazon und anderen Internet-Shops zu sehen ist. Dieser ähnelt der alten Ausgabe des Carlsen-Comics aus dem Jahre 1986 (ISBN: 3893110011). Das ganz in schwarz gehaltene Coverbild passt allerdings auch sehr viel besser zum Inhalt, Farbe kommt nämlich darin nicht vor.