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Die Arbeiterbewegung scheint eine historische Angelegenheit gewesen zu sein, das heißt in der Gegenwart keine Rolle mehr zu spielen. Organisationen, die sich in ihrer Tradition betrachten, kämpfen entweder mit massivem Mitgliederrückgang oder haben sich schon längst breiteren Bevölkerungskreisen geöffnet. Ebenso scheint das klassische Milieu der Arbeiter, die nichts anderes als harte körperliche Arbeit in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis anbieten können, der Vergangenheit anzugehören.
Jürgen Schmidt hat sich in seinem knapp 300-seitigem Buch "Arbeiter in der Moderne" mit Geschichte und Gegenwart der Arbeiter und ihrer Organisationen befasst, um die Vielfalt ihrer Arbeitsbedingungen, Lebenswelten und Organisationsformen zu erfassen.
"Arbeiter in der Moderne" ist eine dichte historische wie soziologische Studie, die versucht das bei aller Heterogenität der Arbeiterschaft Gemeinsame herauszuarbeiten. Sie geht nicht zuletzt der Frage nach, ob es immer noch eine Arbeiterklasse gibt und was sie ausmacht.
In fünf großen Abschnitten mit jeweils circa drei Unterkapiteln werden verschiedene Charakteristika der Arbeiter und der Arbeiterbewegung analysiert. Im ersten Abschnitt werden die Grundlagen vermittelt, die geschichtlichen Entwicklungen nachgezeichnet sowie die methodischen Konzepte der Arbeiterforschung diskutiert. Im zweiten geht es um Lebenswelten und Milieus, die nach Existenzbedingungen und Mobilität, sowohl sozial und regional als auch zwischen Stadt und Land, aufgeschlüsselt werden. Im dritten Teil werden Arbeitsverhältnisse und -beziehungen analysiert, wobei sowohl globale Vergleiche als auch gegenwärtige Veränderungen miteinbezogen werden. In den letzten beiden Abschnitten geht es schließlich um Arbeiterkultur und um Organisationsformen.
Jeder Abschnitt ist davon geprägt, dass die historische Entwicklung bis in die Gegenwart reicht, um dem Leser Kontiniutäten und Wandel zu vermitteln. Ebenso wird bei vielen Gelegenheiten trotz des Bezugs auf Deutschland auch die europäische und globale Entwicklung berücksichtigt. Durch beide Ansätze zeigt sich, dass keineswegs davon ausgegangen werden kann, dass körperliche Arbeit der Vergangenheit angehöre oder dass es keine Arbeiterklasse mehr gebe. Noch immer existiert eine große Gruppe von Menschen, deren Gemeinsamkeit darin besteht in einer wie auch immer gerarteten Form abhängiger Beschäftigung zu ihrem Brot zu kommen. Das ist heute so wie vor 100 Jahren.
Jürgen Schmidts Studie ist geprägt von der relativ neuen Erforschung globaler Arbeit. Deutschland wird hier als Beispielfall in einen globalen Kontext eingebettet. Dass die Arbeiter und Arbeiterbewegung der Gegenwart nicht mehr mit europäisch geprägten Begriffen wie Proletariat gefasst werden kann, wird akzeptiert. Das Spannende an dieser Studie ist, dass diese Diagnose als Ausgangspunkt dient, um herauszufinden, wie die Arbeiterklasse heute aufgefasst werden muss. Die Vielfalt der gegenwärtigen und globalen Arbeit soll in der Forschung zum Ausgangspunkt werden. Es gibt auch heute noch soziale Ungleichheit zwischen Klassen, zwischen Arbeitern und Eigentümern. Wer diese wahrnehmen will, muss nur den Fokus erweitern. Dafür leistet dieses Buch einiges und ist daher jedem Sozial- und Geisteswissenschaftler sehr zu empfehlen.
Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite.