Gesamt |
|
Anspruch | |
Preis - Leistungs - Verhältnis | |
Wer kennt noch Radio Eriwan? Diese kleinen Geschichten nahmen zu Zeiten des Kalten Krieges das sowjetische System aufs Korn und enthüllten die Lücken in diesem angeblich so astreinen System, die in das mangelhafte Innere wiesen.
Die Lebensberaterin Ingrid Seeck versucht, diese Geschichten für ihre Seelsorgetätigkeit umzumünzen:
Frage an Radio Eriwan: "Sind Sie eigentlich mit Ihrem Leben zufrieden?"
Antwort: "Im Prinzip ja - aber ich beneide Julia Roberts um ihr Lächeln und meine Nachbarin um ihre tolle Karriere und meine Schwester um ihr funktionierendes Familienleben und überhaupt alle Menschen, die nicht an einer Allergie leiden ..."
Damit sind auch schon die Eckpunkte genannt, an denen die Autorin Unzufriedenheit festmacht: Der eigene Zustand und der eigene Lebensweg werden an denen anderer gemessen, und man selber schneidet dabei immer schlechter ab.
Frau Seeck bietet mit ihrem Buch "Kleine Lücken im Glück" auf 89 Seiten Auswege aus diesem Zustand der Unzufriedenheit. Ziel ist es, die eingangs gestellte Frage beantworten zu können mit "Im Prinzip ja" - und zwar aus vollem Herzen. Sie will dazu ermutigen, sich selbst zu betrachten und zu akzeptieren mit allen Fehlern und Enttäuschungen auf dem bisherigen Lebensweg. Auch die Menschen, an denen man sich misst, haben ihre Fehler. Frau Seecks Ausführungen sollen die Leserschaft darauf aufmerksam machen, was uns selbst gegeben ist.
Die Autorin zielt darauf ab, dass sowohl Fehler als auch Fähigkeiten von Gott gegeben sind und man beides als Herausforderung verstehen soll. Das gerät aber nicht zur religiösen Abhandlung, sondern ist in angenehm entspannter Weise verfasst. Sie lockert ihre Texte mit positiven Zitaten auf, etwa von Goethe:
"Auch aus Steinen, die in den Weg gelegt wurden, kann man etwas Schönes bauen."Sie lädt dazu ein, nicht das halb leere, sondern das halb volle Glas zu sehen.
Es wird im Laufe der Lektüre offenkundig, dass die Autorin mit diesem Buch vor allem Frauen anspricht, die sich in der Mitte ihres Lebens befinden und ein unbefriedigendes Resümee über die ersten vielleicht vierzig Jahre ziehen. Frau Seeck will sie, schlicht gesagt, in den zweiten Frühling führen. Aber letztlich spricht das Buch auch alle anderen Menschen an, denn sehen wir nicht alle irgendwo unsere Lücke im Glücke?
Die Sache hat allerdings einen Haken: "Im Prinzip ja" bedeutet soviel wie "im Großen und Ganzen ja", da ist das "aber" bereits im "Prinzip" enthalten. Frau Seeck hat sich da ein wenig darin verrannt, ihre Ausführungen von Radio Eriwan herzuleiten. Das ist trickreich, aber holprig. Wenn jemand auf die Frage, ob es ihm gut gehe, mit "Im Prinzip ja" antworten würde, dann könnte er noch so überzeugt klingen, man würde nachfragen. Und wenn jemand bei der Frage, ob man sich treffen könne, diese Antwort gäbe, dann bedeutet das soviel wie "Ja, schon, wenn mir nichts Besseres dazwischen kommt" oder "Eigentlich nicht, aber ich will dich nicht vor den Kopf stoßen".
Darüber hinaus könnte es sein, dass manche LeserInnen ein wenig vor dem Gottesbezug zurückschrecken. Das ist halt nicht jedermanns Sache.
Wenn man aber diese kleinen Details außer Acht lässt, hat man ein sehr entspanntes, leicht esoterisches Buch vor sich, das tatsächlich ein wenig zum Nachdenken anregt, auch wenn man sich (noch) nicht in der Midlife crisis befindet. Im Prinzip ist das Buch ganz Brauchbar, aber es gibt sicher bessere Ratgeber zu diesem Thema.