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Was in der Musik oder auch bei Kunstwerken gang und gäbe ist, spielt in der Literaturwissenschaft nur selten eine Rolle: der Blick auf das "künstlerische Material", die Art und Weise der Verarbeitung. Nicht selten bleibt diese in einschlägigen Literaturgeschichten unberücksichtigt. Durch eine solche stark inhaltszentrierte Herangehensweise wird jedoch ein bedeutender Teil der Literatur als Kunstform unterschlagen, was den an der Universität Münster lehrenden Germanisten Moritz Baßler dazu veranlasst hat, genau diese vorzufindenden Verfahrensstrukturen bei der literarischen Textproduktion einmal näher zu untersuchen.
Ins Zentrum seiner Abhandlung rückt er dabei die Erzählprosa zwischen 1850 und 1950. Beginnend beim Poetischen Realismus über die diversen Strömungen um 1900 führt ihn dabei sein Weg in die "emphatische Moderne", die in "unverständlichen Prosatexturen" des Expressionismus und Surrealismus voller "unmöglichen Metaphern" gipfelten. Mit einem Pendelschlag zurück endet das Buch schlussendlich bei den "neuen Realismen" der Weimarer Republik und NS-Literatur.
Wie Joyce schlägt Musil also vor, auch aus längeren Erkälteten kleine Proben zu entnehmen und deren Prosa (wie bei einer Wein- oder Malt Whisky-Probe) möglichst intensiv zu schmecken, was für uns heißt: zu analysieren, um zu "sehen, was es ist."
Bereits auf den ersten Seiten wird deutlich: Dies ist kein Fachbuch, das sich einfach mal schnell liest. Denn es bedarf schon einer gehörigen Portion an Fachwissen, um den Ausführungen Moritz Baßlers zu folgen. Doch wer sich die Mühe macht, die hervorragend verfasste Einführung in die theoretischen Grundlagen konzentriert zu lesen, dem wird schon so manches klarer, und wer dann diesen langsam fortschreitende Lesemodus beibehält, dem offenbaren sich neue Welten, Literatur als Kunstform geistig zu durchdringen. Auch wenn sich letztlich in dem behandelten Zeitabschnitt ein ständiges Sichablösen zwischen metonymischen und metaphorischen Schreibweisen feststellen lässt, so sind es die tiefgehenden Analysen, die diese Abhandlung so wertvoll machen. Dadurch erscheinen selbst längst bekannte Werke wie Alfred Döblins "Berlin Alexanderplatz" oder auch Erich Maria Remarques "Im Westen nichts Neues" in einem neuen Licht. So komplex und zugleich geistreich die Herleitung, so ungewöhnlich und verblüffend-einleuchtend ist auch so mancher Befund wie im Fall der ungewöhnlich erscheinenden phantastischen Bezüge in Werken des "Poetischen Realismus", die durch "kausale Erklärung, Historisierung oder Zuschreibung zum Aberglauben" jedoch alsbald gekennzeichnet werden - so Baßlers Befund. Zugute kommt dem Verfasser an vielen Stellen, dass er vielfältige Bezüge zwischen den einzelnen Werken herstellt und dadurch trotz tiefgreifenden Analysen das Gesamte nicht aus dem Blick verliert.
Der Lesbarkeit kommt in jedem Fall zugute, dass analysierte Textbeispiele grau hinterlegt wurden und dadurch deutlich sichtbar sind. Aber auch Baßlers Sprachstil erleichtert es Lesern, dem unzweifelhaft schwierigen Ansatz zu folgen. Denn immer wieder strukturiert Baßler seine Darlegungen mittels Fragen, die jedem mitdenkenden Leser auf der Hand liegen:
Nun soll das hier eine Geschichte literarischer Verfahren werden, und wir haben bislang, wie es aussieht, nur über Inhalte gesprochen. Wie ist das zu verstehen?
Von diesen strukturierenden Leitfragen geht auch eine gewisse Motivation aus, da sich der Leser so immer wieder besinnen kann und vielleicht sogar erkennt, dass er mit seinen Gedanken gar nicht so falsch lag. Zudem versucht Baßler durch Strukturskizzen seine Ideen zu verdeutlichen, wenn er beispielsweise die herausgearbeitete "Kippfigur" zwischen Metonymisierung und Symbolisierung in der Epoche des "Poetischen Realismus" veranschaulicht. Nicht zuletzt geht der Autor, wenn er zwischen flapsigen Ausrufen ("Aber hallo!"), geistreichen Wortneuschöpfungen ("Dummy-Instanz") und fachlich präzisen Formulierungen ("Short Cuts-Technik Falladas") hin- und herwechselt, auch in seiner Darlegung einen erfrischend anderen Weg abseits des (fach-)wissenschaftlichen Mainstreams.
FAZIT: Für Kenner ein wahrer Genuss, mit welcher Leichtigkeit Baßler seine Ideen entfaltet. Allerdings, und das muss gesagt werden, weniger versierten Lesern - und hier sind sicherlich auch Studierende in den ersten Semestern mit eingeschlossen - wird die Lektüre nicht ganz leicht fallen. Denn der Band setzt eben so einiges an Wissen voraus. So muss sich der Leser trotz der sprachlich ansprechenden Darlegung und der hervorragenden Einführung über den gesamten Band hinweg mit "Frames", "Metacodes" und sonstigem Fachjargon auseinandersetzen. Aber versprochen: Die Mühe lohnt sich! Eine großartige Abhandlung!
Weitere Informationen zum Buch sowie ein Blick ins Inhaltsverzeichnis finden sich auf der Webseite des Verlags.