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Heute gehört "Doktor Schiwago", vielleicht als Film eher noch denn als Buch, zu den Klassikern der Literatur (oder eben des Films). Die tragische Geschichte des russischen Arztes, der sich in den Wirren des Ersten Weltkriegs und der Revolution verliert, fasziniert das Publikum seit Jahrzehnten, nicht zuletzt aufgrund der tragischen Romanze, die sie vorantreibt und letztlich auch ausmacht.
Während zur Zeit seiner Veröffentlichung wohl jeder potenzielle Leser begriff, welcher Zündstoff in diesem revolutionskritischen – um es provozierend platt auszudrücken – Roman steckte, mag er heute durchaus ein wenig altbacken anmuten. Umso wichtiger ist es, die Hintergründe zu Pasternaks nobelpreisgekröntem Werk, zu seiner Entstehung und dem regelrechten Tsunami, den es auslöste, zu kennen und zu verstehen. Hierzu möchte das in dieser Rezension besprochene Buch einen Beitrag leisten.
Als sich Boris Pasternak, bislang ein anerkannter Lyriker in der Sowjetunion, entschließt, gewissermaßen auf seine alten Tage einen Roman zu schreiben, weiß er durchaus, was das für ihn bedeuten kann und wird. In dem Roman möchte er – oder muss er – die Revolution der Bolschewiken kritisch verarbeiten: Ein verheirateter Arzt, der im Weltkrieg Soldaten behandelt, verliebt sich in eine Krankenschwester und scheitert am Ende an allem: in der Liebe und in Bezug auf seine politischen Überzeugungen.
Pasternak ist bis dahin mit sehr viel Glück (oder Sympathie des Despoten?) den stalinschen Säuberungen entgangen, die nicht zuletzt unter den Schriftstellern zahllose Opfer eingebracht haben. Nun fordert er das Regime heraus. Es reagiert. Aber da ist auch der Westen, dem "Doktor Schiwago" wie gerufen kommt. Ein ganz realer Krimi oder gar Psychothriller, nicht untypisch für den Kalten Krieg, nimmt seinen Lauf.
Peter Finn und Petra Couvée haben, beginnend mit Pasternaks früher schriftstellerischer Tätigkeit, dessen Lebensgeschichte sehr genau recherchiert, ebenso wie jene seiner engsten Familienmitglieder und anderen Lebensbegleiter. Zu diesen gehört nicht zuletzt Pasternaks Geliebte und Agentin Olga Iwinskaja, die mehrfach vom KGB in Sippenhaft genommen und in den Pasternak-Biografien womöglich schlechter als verdient dargestellt wurde.
Natürlich darf der Roman in der Sowjetunion nicht erscheinen, doch es gelingt einem italienischen Verleger, das Buch gegen alle Widerstände zu drucken. Die CIA ist auch interessiert und drängt auf eine russische Ausgabe, die auf der Weltausstellung in Brüssel sowjetischen Besuchern mitgegeben werden soll. Hierbei spielt der Pavillon des Vatikans eine interessante Rolle. Doch vor allem spitzt sich nun vor allem aufgrund des westlichen Interesses für Pasternak die Lage dramatisch zu: Er wird bedroht, ausgeschlossen, diskreditiert – ein vornehmer Ausdruck für die tatsächlichen Ereignisse – und finanziell ausgeblutet. Dies als alternder, kranker Mann.
Es gelingt den Autoren, aufzuzeigen, wie sich aus Pasternak, einem genialen, doch nicht von Eitelkeit freien Autor, ein Spielball der beteiligten Mächte entwickelt. Hartnäckig versucht er, Widerstand zu leisten, doch ein Herzinfarkt und die Sorge um seine Lieben nötigen ihn zum einen oder anderen Kotau vor dem Regime. So lehnt er kurz nach der spontanen Annahme dem Nobelpreis ab.
Finn und Couvée lassen den Leser all die Schikanen mitfühlen, denen Pasternak und seine Angehörigen und Freunde ausgesetzt waren, ebenso die raffinierten Ränke der CIA, nur wenig von einem Gewissen gegenüber der Gefährdung Pasternaks geleitet, und zugleich lassen sie Pasternak und sein Umfeld als Persönlichkeiten erstehen, nicht immer stark, mit Achillesfersen, die dem KGB nur zu gut bekannt sind. Das Gespinst aus Neid bei manchen Autoren und Kritikern sowie Angst bei anderen zieht sich so fest um Pasternak, dass der Leser es recht gut nachempfinden kann. In diesem Werk wird der Kalte Krieg noch einmal lebendig. Doch auch die geballte Solidarität von Schriftstellern und zum Teil Politikern aus den meisten Ländern beeindruckt.
Dass die Darstellung ein wenig unsicher zwischen Roman und Sachbuch schwankt, wird mancher Leser gern nachsehen oder gar mögen, andere mag es verwirren. Dies ist jedoch der einzige Kritikpunkt.
Sauber recherchiert, anschaulich beschrieben: "Doktor Schiwago", wie ihn der westeuropäische Leser (und, mit unterschiedlicher Perspektive, wohl jeder andere) nie kennen gelernt hat, berührend, verstörend, ein gutes Buch!
Einen Blick ins Buch bietet die Verlagsseite.