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Sebastian Rudd arbeitet als Pflichtverteidiger für scheinbar ausweglose Fälle – solche, in denen die Justiz den jeweiligen Angeklagten bereits vorverurteilt hat und die Aburteilung im Grunde nur noch eine Formsache wäre. Wenn es Rudd nicht gäbe.
So sucht er nach dem wahren Täter, als er für einen Mann mit einem IQ von 70 arbeitet, der zwei Mädchen vergewaltigt und getötet haben soll; hieb- und stichfeste Beweise gibt es nicht, doch Rudds Mandant passt ins gängige Bild vom tumben Sexualstraftäter und war zur falschen Zeit am falschen Ort.
In einem anderen Fall befasst sich Rudd mit dem Besitzer einer Wohnung, die nachts von einem SWAT-Kommando gestürmt wird – irrtümlich, wie sich zeigen wird. Der Angeklagte hat im Glauben, es handle sich um einen Raubüberfall, auf die Angehörigen der Spezialeinheit geschossen, worauf seine plötzlich im Nachthemd auftauchende Frau zum "Kollateralschaden" wurde. Seine Notwehr akzeptiert die Justiz nicht als solche, und die Tötung der Frau ahndet sie überhaupt nicht.
In einer weiteren Geschichte geht es um die Stunden vor der Vollstreckung der Todesstrafe an einem "Täter", der viel auf dem Kerbholz hat, vermutlich jedoch nicht die Tötung eines Richters, die ihm vorgeworfen wird. Der Giftspritzenkandidat hat sich einen bemerkenswerten Showdown einfallen lassen.
Es folgen noch einige weitere Fälle, in denen es um die fast alltäglichen Justizirrtümer, gewollte und ungewollte, geht, die fast immer zulasten einfacher, "kleiner" Leute gehen.
Ganz anders als Grishams weitere Thriller präsentiert sich "Der Gerechte". Es handelt sich im Grunde um eine Sammlung kurzer Geschichten oder Episoden, die gleichwohl, wie sich im Verlauf des Buchs zeigt, durch eine Art roten Faden verbunden sind. So nimmt Grisham auch in späteren Fällen auf die zuvor präsentierten "Miniaturen" Bezug.
Gerecht ist Sebastian Rudd, der Protagonist, definitiv. Er vertritt als Pflichtanwalt jene, die von der Justiz - Staatsanwälten, Richtern, Geschworenen - bereits vorverurteilt wurden, weil sie Klischees bedienen, weil die Aufdeckung des wahren Sachverhalts äußerst peinlich für Teile des Apparats wäre (etwa, wenn ein Spezialkommando die falsche Wohnung stürmt und dabei eine völlig arglose Frau tötet), oder weil Teile der Justiz korrumpiert sind. Dies geht Rudd gewaltig gegen den Strich, und seine Tätigkeit geht wiederum jenen gegen den Strich, die er mit ihren Machenschaften nicht durchkommen lässt. Das bedeutet ständige Gefahr. Daher lebt er in einer mobilen Kanzlei, nämlich einem wohnlich hergerichteten Lieferwagen, und hat nur einen Freund, sein Faktotum namens Partner.
Rudds nicht ganz einfaches Privatleben ist, wie in vielen Thrillern in Bezug auf die ermittelnde Figur häufig und somit fast erwartet, ein nicht unwesentlicher Teil des Hörbuchs. So interessiert sich der Anwalt für "Martial Arts", also Käfigkämpfe, und verdient damit auch einiges Geld. Und er streitet verzweifelt ums Sorgerecht für seinen kleinen Sohn – nicht, dass sein Beruf und die durch seine Gesinnung wenig glücklichen Kontakte zu Gerichten dabei hilfreich wären!
Zwar sind die kleinen Geschichten unterhaltsam; manche bleiben auch ein wenig offen, was auf vorgesehene weitere Bücher mit Rudd als Hauptfigur schließen lässt. Dennoch fehlt die Spannung eines Thrillers, den der Hörer aufgrund des Klappentexts wohl in klassischer Form erwartet, und vor allem das Mitfiebern bei der umfangreichen Aufklärung eines Verbrechens. Da nützt auch der erwähnte rote Faden nicht viel; die Handlung wirkt einfach im Großen und Ganzen zusammengestückelt, ausgeprägte Spannungsbögen ergeben sich nicht.
Folglich hat das ungewöhnliche Buchkonzept zwar seinen Reiz, und Rechtsanwalt Rudd als Protagonist mit ausgeprägten Ecken und Kanten mag dem Hörer nicht immer sympathisch erscheinen (gelegentlich könnte er sich auch "der Selbstgerechte" nennen), doch trotz der Länge werden die meisten Hörer das Buch gern zu Ende hören – wie gesagt, es unterhält gut, wozu auch Charles Brauer als ausgezeichneter Sprecher beiträgt; atemlose Spannung ergibt sich jedoch nicht.
Eine Hörprobe bietet die Verlagsseite.