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Nicht erst seit dem "Fall Cornelius Gurlitt" ist so genannte Beutekunst ein internationales Thema im Kunsthandel, bisweilen auch ein Politikum. In diesem Zusammenhang fällt häufig der Begriff "Entartete Kunst", mit dem die Nationalsozialisten die Meister der Moderne beziehungsweise deren Werke, die nicht in ihre Vorstellung von Kunst und Kultur passten, diffamierten.
Im Kunstmuseum Bern findet vom 07.04. bis 21.08.2016 eine Ausstellung mit modernen Meistern statt, deren Kunst unter jenen herabwürdigen Begriff fällt. Der dazugehörige Ausstellungsband ist bei Prestel erschienen und beginnt nach den Grußworten mit einer Reihe von Essays, die sich vor allem mit der Historie befassen - etwa der Kunst im Dritten Reich und den Methoden der Nationalsozialisten, missliebige Werke zunächst in Ausstellungen zur "Entarteten Kunst" lächerlich zu machen und sie dann möglichst im Ausland zu veräußern. Ebenso befassen sich die Texte mit allen Begrifflichkeiten, die mit den entsprechenden Vorgängen auf dem Kunstmarkt, in den Museen und kulturellen Institutionen jener und späterer Zeit zu tun haben, sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz. Es geht um Provenienzforschung, Raubkunst, Rückgabe an die rechtmäßigen Besitzer, aber auch um juristische Begriffe wie Besitz und Eigentum, ohne deren klare Definition so etwas wie Gerechtigkeit nicht möglich wäre.
Weiterhin sind das Kunstmuseum Bern und seine Geschichte zentrale Themen, nicht zuletzt hinsichtlich des Erwerbs oder auch der Aufbewahrung von gefährdeten Werken. Es zeigt sich eine "komplexe Gemengelage", wie es oft heißt, denn nicht nur die zeitgenössische Kunst, sondern ebenso die Schweiz als Staatsgebilde sah sich von NS-Deutschland zunehmend bedroht. Auch dieser historische Aspekt fließt immer wieder ein.
Im Katalog werden Werke nach Stiftungen und Schenkungen geordnet präsentiert, zudem jedoch separat die "vier Verfemten" Paul Klee, Ludwig Kirchner, Otto Dix und Johannes Itten. Es folgen das Werkverzeichnis und der Anhang.
Vermutlich ist der Begriff "Entartete Kunst" zusammen mit Raub- und Beutekunst jedem Kunstinteressierten bereits begegnet. Heute erscheint es schwer vorstellbar, mit welcher Abscheu die Nationalsozialisten der Moderne gegenübertraten. Die Essays im Katalog zur Berner Ausstellung bieten einen tiefen, detaillierten und spannenden Einblick in jene bewegte Zeit voller Gräuel an Menschen und in ähnlicher Weise an der Kunst. Sie erläutern Ereignisse und Hintergründe und im Zusammenhang mit der Berner Sammlung auch die spezielle Situation der Schweiz unmittelbar vor dem Krieg, währenddessen und schließlich danach, als es um Eigentum und Restitution ging.
So machen die hochwertigen Essays einen beträchtlichen Teil des Bandes aus, was diesem jedoch in keiner Weise schadet, denn gerade die entsprechenden Kenntnisse lassen den Leser mit ganz anderen Augen auf die vorgestellten Kunstwerke blicken, deren Qualität allein schon den Kauf des Buchs lohnen würde. Auch die Präsentation überzeugt. So hat jede Abbildung genügend Raum, um sich zu entfalten, und korrespondiert gegebenenfalls mit passenden anderen Werken.
Im Katalog werden zudem die einzelnen Stiftungen und Schenkungen beziehungsweise Schenkenden in Wort und Bild vorgestellt, sodass der Leser einen Eindruck davon erhält, wie museale Sammlungen zustandekommen. Diesem erschließt sich dank der Ausstellung beziehungsweise des Kataloges eine verstörende Zeit für die Schweiz und Deutschland, ebenso jedoch die zeitlose Ästhetik moderner Kunst mit ihren ganz unterschiedlichen Themen und Stilen, mit Künstlerschicksalen und weitsichtigen Museumsdirektoren, denen wir eine einzigartige Sammlung verdanken. Sehr lesens- und sehenswert!
Einen Blick ins Buch bietet die Verlagsseite.