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Seit einigen Jahren erscheint bei Reclam die Neuübersetzung von Marcel Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Nun ist der sechste Band, "Die Entflohene" erschienen. Bernd-Jürgen Fischers fleißige Übersetzungs- und Recherchearbeit nähert sich damit ihrem Ende. Der siebte und letzte Band, dem noch ein Kommentarband folgen wird, soll noch dieses Jahr erscheinen.
Nachdem im fünften Buch das Eheleben zwischen der Hauptfigur und Albertine ausführlich erzählt wird, behandelt der sechste die Trennung und den Tod Albertines und vor allem wie Marcel diese Ereignisse verarbeitet, bis er sie letztlich fast ganz vergisst ...
Marcel Prousts "Die Entflohene" ist mit Abstand der kürzeste der sieben Bände des Romanzyklusses "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Nicht mal 500 Seiten inklusive des ausführlichen Kommentarteiles. Vieles von dem, was in diesem Band geschieht, hatte sich bereits angekündigt in den vorherigen Teilen.
Die Ehe von Marcel und Albertine zerbricht an Marcels Eifersucht. Er hatte sie eingesperrt in seinem Wahn, sie ständig unter Kontrolle haben zu können. Nach ihrer Flucht, einer kurzen Wiederannäherung und schließlich ihrem plötzlichem Tod erfährt Marcel durch ihre hinterlassenen Briefe, dass sie homosexuell war. Es beginnt für ihn eine zermürbende Aufarbeitung ihrer Geschichte, die ihn auch wieder an die Plätze seiner Jugend führt, wo er Gilberte wiedertrifft, die inzwischen verheiratet ist. Letztlich erzählt der relativ kurze sechste Band, wie er vom Trauma des Verlusts Albertines fast zu einer gänzlichen Gleichgültigkeit seines Lebensabschnittes mit ihr übergeht. Damit verbunden ist eine Entwicklung der Hauptfigur, die wohl damit am besten beschrieben werden kann, dass er zur Ruhe kommt.
Stilistisch unterscheidet sich der Band nicht groß von den vorangegangenen. Insbesondere die Lektüre der Briefe Albertines und die Gespräche mit Gilberte sind von zahlreichen und langen Gedankengängen Marcels geprägt. Er kommt nicht raus aus dem ewigen Kreislauf zwischen Wünschen, Sehnsucht und Enttäuschungen. Die Personen und Orte wechseln, aber seine Art und Weise die Welt zu sehen und zu interpretieren bleibt. Kleine und unwichtige Begebenheiten werden analysiert und bewertet, und zwischendurch gibt es wie in jedem Band eine Menge Gespräche über Kunst, Theater und Musik. Die tiefenpsychologische Studie der Hauptfigur ist weiterhin das Spannende an dieser Romanreihe, nicht die Handlung an sich.
Die Übersetzung selbst bleibt sich treu. Fischer schafft es auch im sechsten Band seinen Stil durchzuhalten, der die Atmosphäre von Marcel Prousts Frankreich transportiert, ohne veraltete Vokabeln oder Formulierungen zu nutzen. Der Text liest sich flüssig und ohne Brüche. Dazu kommt der großartige Anmerkungsapparat, der zu allen Personen, Orten oder Geschehnissen, die im Text erwähnt werden, die notwendigen Informationen liefert, wenn der Leser sie verstehen will. Das ist gerade für die zahlreichen Bemerkungen über Kunst, Kultur und Gesellschaft wichtig.
Wer die ersten fünf Bände von Fischers Neuübersetzung gelesen und für gut befunden hat, wird auch mit diesem sehr zufrieden sein!
Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite.