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Der Roman "Zorngebete" von Saphia Azzeddine hat für einiges Aufsehen gesorgt. Die Autorin beschrieb darin die Lebensgeschichte einer jungen Frau aus dem Bergland eines Maghreb-Staates. Schon als junges Mädchen rebelliert Jbara gegen die von ihr verlangte Unterordnung in einer patriarchalen Gesellschaft. Als sie schwanger wird, wird sie von ihren Eltern verstoßen. In der Stadt schlägt sie sich als Putzfrau und Prostituierte durch. Völlig ohne Tabus wird sie so die Konkubine eines mächtigen Mannes und landet schließlich im Gefängnis ...
Marie Avril und Eddy Simon haben die Romanvorlage zu einer Graphic Novel verarbeitet und versuchen die schonungs- und tabulose Darstellung des Buches auch in den Bildern einzufangen. Leider erreicht die hier vorliegende Comicadaption von "Zorngebete" nicht dieselbe schockierende Tabulosigkeit wie die Romanvorlage, auch wenn sie es versucht. Sie ist zwar an sich gelungen - die Handlung wird auf den 88 Seiten gut wiedergegeben und die Bilder vermitteln eine durchgehend stimmige Atmosphäre. Doch wer den Roman gelesen hat, dem fehlt die konsequente Schonungslosigkeit der Bilder, die der Originaltext eigentlich erwarten lässt.
Zunächst zur Handlung: Avril und Simon halten sich ziemlich streng an die Vorlage des kurzen Romans. Es wird keine wichtige Station im Leben von Jbara weggelassen, auch nichts dazugedichtet. Von der Kindheit im Bergdorf, der ungewollten Schwangerschaft und Vertreibung aus dem Elternhaus über die Arbeit als Putzfrau und Prostituierte bis hin zum Gefängnis und dem Leben als Frau eines Imams ist diese Graphic Novel eine getreue Nacherzählung der Romanvorlage. Der Leser will die spannende und kurzweilige Geschichte Jbaras bei jeder dieser Stationen verfolgen. Er wird genauso mitgerissen wie vom Roman.
Die Zeichnungen sind sehr schön geraten. Die Bilder wirken sehr romantisch durch eine Farbgebung, die dem Leser in eine Atmosphäre hüllt als würde die ganze Handlung in einem Sonnenuntergang spielen. Diese märchenhaften Bilder stehen im Kontrast zur Geschichte und einzelnen Geschehnissen, insbesondere der kalten und zügellosen Sexszenen. Im Grunde ist das eine stimmige und überzeugende Übersetzung des Romans in eine Graphic Novel. Störend ist dabei nur, dass die Bilder dann eben in letzter Konsequenz doch nicht so weit gehen wie die Textvorlage. Der Leser sieht viel Nacktheit und auch einige Sexpraktiken werden mehr als nur angedeutet, aber letztlich auch nicht wirklich gezeigt. So wird ein Blowjob nur durch Silhouetten dargestellt oder Geschlechtsverkehr nur durch in Totalen aus recht wenig empörenden Perspektiven. So verfehlen die Bilder letztlich die schockierende Wirkung, die der Text vorgeben will, zumindest im europäisch-westlichen Kontext. Übrig bleibt so nur, dass ein Leser diese Bilder nicht in einer Geschichte im arabisch-islamischen Kontext erwartet.
Dennoch vermittelt diese Comicadaption die Grundmotive der Geschichte sehr überzeugend, insbesondere das Spannungsverhältnis, in dem sich die Protagonistin Jbara bewegt, die gleichzeitig nach individueller Freiheit strebt und gegen das Patriarchat rebelliert und ihm sich dabei doch konsequent als Prostituierte unterwirft. Auch ihr ganz eigenes Verhältnis zur Religion, das in den vielen Gebeten zu Allah zum Ausdruck kommt, wird in dem Comicband gut wieder gegeben.
So lohnt sich diese Graphic Novel sowohl für Fans dieses Genres als auch für diejenigen, die die Romanvorlage spannend finden. Die stimmige Comicadaption überzeugt insgesamt, hätte nur in ihren Bildern tabuloser sein sollen, um der Textvorlage auch in dieser Frage gerecht zu werden.
Eine Leseprobe gibt es auf der Website des Verlages.