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Das Deutsche Kaiserreich war nicht nur ein Nationalstaat, sondern auch ein Imperium. Das zeigte sich besonders in seinen östlichen Grenzräumen und in seinen Kolonien. Insbesondere dort trafen divergierende Interessen aufeinander, vor allem von verschiedenen Ethnien, aber auch die zwischen dem Selbstverständnis des Kaiserreichs als ethnisch homogenem Nationalstaat und seiner imperialen heterogen geprägten Realität.
Dörte Lerp analysiert genau dieses Spannungsverhältnis in ihrer fast 400-seitigen Studie "Imperiale Grenzräume". Sie betrachtet dabei die Bevölkerungspolitik des Reiches in zwei ausgewählten Grenzregionen in den drei Jahrzehnten vor dem Ersten Weltkrieg. Diese sind zum einen die östlichen Provinzen Preußens und zum anderen die Kolonie Deutsch-Südwestafrika. Anhand verschiedener bevölkerungspolitischer Strategien, etwa in der Arbeitsmigrationspolitik oder der Siedlungspolitik, arbeitet sie Gemeinsamkeiten und Unterschiede heraus. Ihr Ziel ist dabei unter anderem, herauszufinden, inwiefern die Politiken in verschiedenen Regionen des Reiches sich gegenseitig beeinflusst haben.
Dörte Lerps Studie "Imperiale Grenzräume" ist eine sowohl fundierte als auch gut durchdachte vergleichende Studie, die dem Leser einige interessante Aspekte der Geschichte des Deutschen Kaiserreichs näherbringt. So bietet dieses Buch spannende Erkenntnisse für ganz unterschiedlich interessierte Forschende und Studierende.
Dies beginnt schon mit der Auswahl der betrachteten Regionen. Wer sich für die östlichen Provinzen Preußens im Zeitalter des Imperialismus interessiert, erfährt einiges über die Versuche der Regierung, die deutsche Kultur dort durchzusetzen und die polnische zu verdrängen, was immer wieder mit handfesten wirtschaftlichen Interessen kollidierte, da der Landwirtschaft dort sowieso bereits Arbeiterkräfte fehlten. Die Einführung einer stark regulierten saisonalen Arbeitsmigration oder der gescheiterte Versuch, deutsche Bauern in Massen anzusiedeln, sind einige der ausführlich dargestellten Politiken für diese Region. Zugleich sind kolonialismus-interessierte Leser mit diesem Band ebenfalls gut bedient. Lerp stellt auch für Deutsch-Südwestafrika die bevölkerungspolitischen Maßnahmen dar, die gleichermaßen von "Germanisierungs"-Versuchen geprägt waren und dabei auf das Problem trafen, dass das Reich aufgrund des Arbeitskräftemangels nicht auf die einheimische Bevölkerung verzichten konnte. Hier war das Problem sogar noch größer als in Ostpreußen, da es kaum gelang im großem Umfang deutsche Siedler für ein Leben in der Kolonie zu gewinnen.
Lerp versteht es gut für die einzelnen ähnlich gelagerten Probleme, die Lösungsversuche in beiden Regionen darzustellen. Dabei unterstellt sie nie einfach nur einen Zusammenhang oder eine unabhängige Entwicklung, sondern geht auch immer wieder darauf ein, welche Akteure von wem beeinflusst wurden. So geschah es nicht selten, dass ähnliche Wege gegangen wurden, aber die Akteure in Preußen und Afrika sich jeweils von anderen Quellen haben inspirieren lassen. Die deutsche Politik in den Kolonien ließ sich etwa oft von den Praktiken anderer Kolonialmächte leiten.
Letztlich ist diese Studie vor allem für Leser interessant, die sich für Bevölkerungspoltik in der Zeit des Imperialismus interessieren. Migrations- und Siedlungspolitik sagen viel über das Spannungsverhältnis zwischen Nationalismus und Imperialismus aus in einem Staat, der sowohl national als auch Imperium sein will. Für das Deutsche Kaiserreich trifft das genauso zu wie für alle anderen Kolonialmächte der Zeit. Daher ist diese Studie nicht nur für die betrachteten Regionen selbst interessant, sondern auch sehr anregend für ähnlich gelagerte Forschungsfragen, die auf andere Regionen bezogen sind.
Da die Autorin es durch den gesamten Text hindurch vermag, auf ihre Fragestellungen fokussiert zu bleiben, ist ihr auch ein gut lesbares Buch gelungen. Der Leser kann den Argumentationen und dem Weg durch die einzelnen analysierten Bevölkerungspolitiken leicht folgen. Anmerkungen und Bibliographie sind ausführlich und belegen so ziemlich jede These und Feststellung, sodass auch forschende Leser zufrieden sein dürften. Insgesamt hat Dörte Lerp eine großartige Studie vorgelegt, der viele Leser zu wünschen sind.
Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite.