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Die Geschichte der Arbeiter beziehungsweise der Arbeiterbewegung gehört sicherlich zu den besterforschten Teilbereichen der Geschichtswissenschaft. Allerdings meist aus einer eurozentrierten Haltung, welche unweigerlich zu einer Verengung des Blicks auf die Sache führt. Spätestens mit der englischsprachigen Ausgabe dieses Buches wird dieser eine Erweiterung zuteil - und zwar in Form der sogenannten "Global Labour History", welche die transnationalen Zusammenhänge in den Blick rückt und so Aspekte berücksichtigt, die bisher allzu pauschal beurteilt wurden.
Inhaltlich konzentriert sich Global Labour History auf das transnationale - eigentlich das transkontinentale - Studium von Arbeitsbeziehungen und Arbeiterbewegungen im weitesten Sinne.
An den Beginn seiner hier vorliegenden Abhandlung stellt der niederländische Historiker Marcel van der Linden, der mit diesem Buch maßgeblich für die Etablierung dieses Forschungsfeldes, verantwortlich war, zunächst eine Ausdifferenzierung des Konzepts "Arbeit", indem er danach fragt, wie sich Arbeiter überhaupt definieren lassen beziehungsweise welche Entscheidungskriterien "freie Lohnarbeit" oder "Besitzsklaverei" bedingen. Im Anschluss daran arbeitet van der Linden verschiedene "mutualistische" Organisationsformen heraus. Gemeint sind damit
"alle freiwilligen Übereinkünfte, bei denen Personen Beiträge in eine gemeinsame Kasse einzahlen, deren Mittel nach festgelegten Vergaberegeln ganz oder teilweise an einen oder mehrere Beitragszahlende ausgezahlt werden". Dies sind zum Beispiel "Versicherungen auf Gegenseitigkeit", Konsum- oder Produktionsgenossenschaften. In Kapitel drei bringt van der Linden dann unterschiedliche Protestformen von Arbeitern zur Sprache, angefangen beim Streik über den Konsumentenprotest bis hin zur Gründung von Gewerkschaften oder internationaler Zusammenarbeit. Dass "Global Labour History" nicht nur eine transnationale, sondern auch eine interdisziplinäre Ausrichtung hat, wird mit dem letzten Kapitel deutlich, in dem verschiedene Erkenntnisse aus benachbarten Disziplinen wie die Weltsystemtheorie für den historischen Erkenntnisprozess fruchtbar gemacht werden.
Mit diesem Band eröffnet Marcel van der Linden ein äußerst spannendes Forschungsfeld, welches der eingefahrenen Erforschung der Arbeitergeschichte zahlreiche neue Impulse verleiht. So fächert er den bisweilen monolithisch erscheinenden Begriff der Arbeit gekonnt auf, um auch den graduellen Unterschieden gerecht zu werden und auf diese Weise außereuropäische Arbeitsformen in sein Konzept der "Global Labour History" zu integrieren. Überhaupt ist der Band durchzogen von einem ungeheuren Bestreben nach begrifflicher Schärfe, wenn beispielsweise die verschiedenen Formen des Widerstands von Arbeitern ausdifferenziert werden. Bisweilen sind diese Ausführungen zwar recht theoretisch, vermessen auf diese Weise aber äußerst präzise und systematisch das Forschungsfeld. Allerdings schadet es nicht, wenn der Leser trotz der klaren Gedankenführung des Autors ein wenig wirtschaftlichen Sachverstand mitbringt, um die Feinheiten angemessen nachzuvollziehen.
Die Herausforderung besteht darin, die alte und die neue Geschichte der Arbeit mit einer neuen Herangehensweise zu überwinden, durch die bisherige Erkenntnisse von HistorikerInnen in einen neuen, breiteren Kontext gestellt werden.
Immer wieder reichert van der Linden seine Darlegung - wenn möglich - mit kurzen historischen Beispielen an, die exemplarisch das Gesagte belegen. Hier wird deutlich, dass der Autor seinen Anspruch der "Global History" ernst nimmt und Beispiele aus unterschiedlichsten Regionen der Welt heranzieht, ohne zu verleugnen, dass sowohl die bessere Forschungslage zur Nordatlantik-Region sowie sprachliche Hindernisse zu einer gewissen Schieflage führen. Nichtsdestotrotz zeigt sich dennoch, dass van der Lindens Öffnung des Themenfeldes bereits mit dieser ersten Annäherung erste tragfähige neue Erkenntnisse bietet. So relativiert er zum Beispiel die Rolle von Gewerkschaften bei der Durchführung von Streiks, indem er auf den Textilarbeiterstreik von Mumbai (Indien) des Jahres 1982/83 oder den Generalstreik in Mombasa (Kenia), welcher 1947 auf einer basisdemokratischen Entscheidung fußte, verweist.
An einzelnen Stellen weist van der Linden auch gezielt auf offene Fragen hin, wenn er beispielsweise auf die fehlenden Detailkenntnisse zur Flucht von "freien" Arbeitern aus ihren Arbeitsverhältnissen aufmerksam macht. Hervorzuheben und dem gesamtwissenschaftlichen Anspruch des Bandes gemäß eröffnen selbst die drei für den Band verantwortlichen Übersetzer eine eigene Forschungsperspektive, welche auf genderspezifische Übersetzungsprobleme verweisen. Denn immer wieder stellte sich diesen die Frage, wann und in welcher Form auch Frauen als Arbeiterinnen tätig waren.
FAZIT: Eine von begrifflicher Schärfe geprägte Erweiterung des Forschungsfeldes "Geschichte der Arbeiter", welches sich diesem systematisch annähert und viele neue Forschungsimpulse bereithält.
Weitere Informationen sowie ein Blick ins Buch finden sich auf der Webseite des Verlags .