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 Das antike Griechenland

Eine neue Geschichte


Cover
Gesamt +++--
Anspruch
Aufmachung
Preis - Leistungs - Verhältnis
Warum war die griechische Welt in der Antike so erfolgreich? Technologisch innovativ, wohlhabend und politisch außergewöhnlich schafften es die Griechen trotz ihrer zersplitterten Organisation in verschiedene Poleis jahrhundertelang Teile des Mittelmeerraumes zu dominieren und gegenüber großen Territorialstaaten wie dem Perserreich ihre Unabhängigkeit zu bewahren. Wie gelang das?

Josiah Ober hat die These, dass die erfolgreiche Verbindung von Demokratie und Wirtschaftswachstum diese Geschichte erklärt. Da die Bürger in einer Polis frei waren und sich selbst sowohl um die Angelegenheiten des Staatswesens als auch ihres Wohlstandes kümmerten, entstand eine innovative, auf Wachstum ausgerichtete Gesellschaft, in der das richtige Maß an Kooperation und Wettbewerb herrschte. Für die Begründung dieser These zieht Ober jede Menge quantitativer und qualitativer Daten, aber auch viele Theorien und Analogien aus anderen Wissenschaften heran. Mehr als die Hälfte der Kapitel befassen sich systematisch mit verschiedenen Aspekten der griechischen Poliswelt, nur wenige Abschnitte stellen deren Geschichte grob chronologisch dar. Ergänzt wird der Text durch zahlreiche Karten, Tabellen und Datenmaterial im Anhang.

Josiah Obers neue Geschichte Griechenlands, wie sie im Untertitel genannt wird, wird unter anderem damit beworben, sie sei die Geschichte der griechischen Antike für das 21. Jahrhundert. Das ist viel zu hoch gegriffen, denn dafür ist das Buch zu sehr verengt in seiner Perspektive. Dennoch ist diese Studie für Forschende und an antiker Geschichte interessierte Leser durchaus spannend, da sie innovativ, anregend und streitbar ist. Der Autor geht jedoch einzig und allein der Frage nach, warum die Griechen in der Antike trotz ihrer politischen Zersplitterung so erfolgreich waren. Seine Antwort und Arbeitshypothese: Die Verbindung demokratisch-freier Gemeinwesen mit einer wirtschaftlichen Ausrichtung auf Wachstum haben zu einer jahrhundertelangen Blüte geführt, die schließlich die griechische Kultur auch nach Verlust der Unabhängigkeit der Poliswelt weiter bestehen ließ.

In den ersten Abschnitten werden die Bedingungen dieser Entwicklungen ausführlich behandelt, dazu wird die klimatische und politische Umwelt im östlichen Mittelmeerraum beschrieben, die präferierten Siedlungsplätze der Griechen dargestellt und die über 1000 bekannten Poleis klassifiziert. Der Leser merkt schnell, dieses Werk ist keine übliche Studie antiker Geschichte. Hier wird viel Datenmaterial verarbeitet und analytisch verglichen. Das macht das Buch spannend, da der Leser einen anderen Zugang zur Antike erhält als allgemein üblich. Allerdings fragt sich der Leser auch an einigen Stellen, ob die Methodik des Autors durchgehend plausibel ist.

Und in der Tat lässt der Text eine Begründung dafür vermissen, warum insbesondere die vielen vergleichenden Ansätze und Erklärungsmodelle aus anderen Wissenschaften einfach so auf die griechische Geschichte angewandt werden können. Insbesondere auf die Biologie und die Evolutionsforschung greift Ober oft und ausführlich zurück, und nicht immer ist eindeutig, ob hier nur ein Bild zur Veranschaulichung gebraucht wird oder tatsächlich die Biologie herangezogen wird, um das Handeln der Griechen als historische Akteure zu erklären. Die Stellen sind zu zahlreich und ausführlich, sodass der Leser diese ständigen fachfremden Ausflüge - so schön sie sich auch lesen - als bloße Bilder zur Veranschaulichung wahrnehmen könnte.

Eines der Lieblingsbilder des Autors ist der Vergleich der Poliswelt mit Ameisenkolonien, da schon Aristoteles diesen angestellt hatte. Ein ganzes Kapitel, auf das auch im weiteren Text immer wieder Bezug genommen wird, widmet er dieser Analogie und erklärt ausführlich, wie etwa nach aktuellem Kenntnisstand Ameisen Informationen austauschen, um den Arbeitsprozess am Laufen zu halten. Da Menschen aber nicht wie Ameisen einfach arbeiten, sondern auch als Trittbettfahrer den Produktionsprozess sabotieren könnten, ist dann ein Teil der Analyse, wie die Gesellschaft aufgebaut sein muss, damit das Modell auch auf die Poliswelt angewandt werden kann. Sicher sind die Ausführungen interessant und auch anregend, aber ein kritischer Leser wüsste schon gerne, warum zur Erklärung historischen Handelns von Menschen und Gesellschaften so einfach ohne Weiteres auf naturwissenschaftliche Modelle gesetzt werden kann. Der Autor macht das einfach und glaubt, es sei ausreichend zu erwähnen, dass Griechen und Ameisen natürlich nicht gleich seien. Auch in die andere Richtung erklärt Ober nicht, warum die Ameisenkolonien dann nicht auch auf die gesamte Menschheitsgeschichte als Darstellungsmodell dienen könnten. Nur weil Ameisenhaufen um einen Teich und Poleis um das Mittelmeer herum von oben aus weiter Entfernung jeweils wie Punkte um eine Pfütze aussehen, ist noch kein hinreichender Grund, darauf eine historische Studie aufzubauen.

Nicht ganz so unkritisch, aber mit einer deutlich ausgeprägten ideologischen Präferenz, geht der Autor auch davon aus, dass die Verbindung von Demokratie und Wirtschaftswachstum erstens was per se Gutes ist und zweitens einen Vergleich mit der Geschichte des kapitalistischen Westens seit der industriellen Revolution zulässt. Die Blütezeit der griechischen Antike wie auch der Europas und Nordamerikas sind für ihn vor allem bedingt durch Wirtschaftswachstum unter demokratischen Bedingungen. Dies ist eine gewaltige Grundannahme, die gleichermaßen polarisierend wie einseitig ist. Andere Aspekte der Geschichte wie Sozialstruktur oder Kultur blendet er für seine Analyse bewusst aus. Verteilungsfragen werden ebenso wenig behandelt, obwohl sie für den inneren Frieden und damit für den Erfolg von Gesellschaften nicht minder wichtig sind wie die Produktion des Wohlstands.

Nichtsdestotrotz ist das Buch lesenswert. Der Leser erfährt eine Menge über die Geschichte Griechenlands aus einer neuen Perspektive. Gerade die Auswertung der quantitativen Daten ist interessant, da so auch mal Größenordnungen und messbare Vielfalt der Poliswelt vermittelt wird. Spannend ist das wahrscheinlich aber alles nur für Historiker, Studierende und andere sehr stark interessierte Leser. Wer eine Einführung in die Geschichte des antiken Griechenlands sucht, wird hier nicht fündig. Auch ist dieses Buch keine bahnbrechende neue Geschichte der Poliswelt. Es ist eine Studie mit einer interessanten, wenn auch sehr streitbaren These, die sicher anregend ist für Forschende, aber auch nicht mehr. Schön wäre gewesen, wenn der Autor seine Grundannahmen und methodischen Anleihen aus der Naturwissenschaft ausführlich begründet hätte.

Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite!

Andreas Schmidt



Hardcover | Erschienen: 12. November 2016 | ISBN: 3608949283 | Originaltitel: The Rise and Fall of Classical Greece | Preis: 34,95 Euro | 559 Seiten | Sprache: Deutsch

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