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Die Historiographie des Habsburgreiches oder Österreich-Ungarns erfährt gegenwärtig einen starken Aufschwung. Viele Studien erscheinen zu seiner Geschichte, so auch die neueste von Pieter M. Judson, der mit "Habsburg" einen umfangreichen Überblick über die Zeit zwischen 1740 und 1918 gibt.
Allgemein wird die Geschichte des Habsburgreiches als eine lange Krisengeschichte erzählt, die 1918 mit dem unvermeidlichen Zusammenbruch ihr unausweichliches Ende fand. Judson will diesem Bild explizit ein positives gegenüberstellen und versucht dies, indem er die Perspektive der Untertanen stark macht. In acht Kapiteln zeichnet er chronologisch von Maria Theresia bis zur Niederlage 1918 alle Stationen des Reiches nach. Ergänzt wird der Text durch einige Abbildungen sowie Anmerkungen und einem Personenregister.
Pieter M. Judsons "Habsburg" ist vieles. Es ist eine Zusammenfassung eines bisherigen Forscherlebens zu diesem Thema, eine großartige und umfangreiche Einführung in fast zweihundert Jahre österreichische und mittel-osteuropäische Geschichte, aber vor allem ist es ein überzeugender Versuch, ein gängiges Geschichtsbild zu revidieren.
Für Historiker und Studierende ist diese Studie aus zwei Gründen hochinteressant. Zum einen ist es die erste Geschichte des Habsburgsreiches, die über einen so langen Betrachtungszeitraum konsequent versucht, die Perspektive der Untertanen einzunehmen und damit, so weit das geht, eine Geschichte von unten erzählt, und nicht nur die der Könige, Kaiser und hohen Politiker. Zum anderen entsteht dadurch ein ganz neues Bild, das Österreich-Ungarn keineswegs als steinernen Koloss auf tönernen Füßen darstellt, sondern als innovativ, reformfähig, krisenfest und stabil. Auf einmal ist sein Zusammenbruch 1918 kein "unausweichliches Schicksal" mehr, sondern wird zu einem erklärungsbedürftigen Ereignis.
Denn die Untertanen, ob die Klassen oder bestimmte Volksgruppen betrachteten das Reich und den Kaiser oftmals als Verteidiger ihrer Rechte gegen die lokalen Machthaber. Das Reich war es, dass deren Macht und Einfluss begrenzte und ihnen gewisse Rechte garantierte. Das war ihre damalige Wahrnehmung und Judson vermag es darauf aufbauend überzeugend zu belegen, dass die Loyalität zum Staat Österreich-Ungarn stark war, wie verschiedene Ereignisse der wechselhaften europäischen Geschichte des langen 19. Jahrhunderts zeigen.
Nicht nur inhaltlich überzeugt das Buch, das neue Perspektiven eröffnet, auch stilistisch ist es gelungen. Judson schreibt kenntnisreich und nachvollziehbar, dabei aber flüssig und verständlich. Der Leser wird durchgehend gut mitgenommen und kann folgen, ohne große Vorkenntnisse mitzubringen. So ist das Buch nicht nur für Forschende und Studierende interessant, sondern auch für interessierte Laien, die einfach mal einen Überblick über die Geschichte des Habsburgreiches gewinnen möchten.
Einzig ein paar Kleinigkeiten fehlen dem Buch. So wäre neben dem Personenregister auch ein Orts- oder allgemeiner Index schön gewesen und die eine oder andere Karte mehr hätte an mancher Stelle gut getan.
Aber dennoch ist das Buch einfach zu empfehlen, da es eine streitbare These aufstellt, diese gut begründet und auf ihrer Grundlage eine angenehm lesbare geschichtswissenschaftliche Darstellung entfaltet.
Eine Leseprobe gibt es auf der
Verlagswebsite.