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Kolonial- und vergleichende Geschichte sind zwei der großen geschichtswissenschaftlichen Trends der Gegenwart. Sebastian Gottschalk betreibt beide in seinem Band zur deutschen und englischen Kolonialherrschaft in Westafrika vor dem Ersten Weltkrieg. Sein Fokus liegt dabei aber auf einem bisher noch wenig erforschten Aspekt, nämlich dem Umgang der Kolonialmächte mit dem Islam in dieser Region.
Auf über 340 Seiten rekonstruiert der Autor in sieben Abschnitten wie die britische und deutsche Herrschaft in Westafrika funktionierte und welche Rolle dabei der Islam spielte oder ihm zugeordnet wurde. Nach einer längeren Einleitung, in der Ziel und Methode der Arbeit sowie der Forschungsstand erläutert werden, folgt ein Kapitel zum europäischen Islamdiskurs der Zeit. Es schließen sich Abschnitte zum Herrschaftssystem in den Kolonien und zu Widerstandsbewegungen mit islamischem Hintergrund an. Ein weiterer Teil behandelt die Rolle des Panislamismus als koloniale Herausforderung. Abschließend wird nochmals der Islamdiskurs in Europa vor dem Hintergrund der kolonialen Erfahrungen analysiert.
Im Anhang finden sich eine Karte sowie eine Bibliografie.
Sebastian Gottschalks vergleichende Studie "Kolonialismus und Islam" ist eine lesenswerte Monographie für alle Interessierten, die sich entweder vertieft mit kolonialer Herrschaft oder dem westlichen Islamdiskurs beschäftigen wollen. Da hier die Herrschaftspraktiken und -diskurse zweier verschieden agierender Kolonialmächte am Vorabend des Ersten Weltkrieges dargestellt werden, wird ein weit gespannter Blick auf beide Themen gerichtet, der viele Anregungen bietet.
Der Text ist zwar grob chronologisch gegliedert, aber der Autor durchbricht diese Ordnung auch immer wieder, wenn ein Teilaspekt, etwa der Diskurs in Europa oder islamische Widerstandsbewegungen, dargestellt wird. Das ist auch gut so, da so die Zusammenhänge und Entwicklungen, die nun einmal parallel liefen, für den Leser verständlicher vermittelt werden können. So sind die einzelnen Abschnitte auch für sich sehr interessant.
So lernt der Leser etwa die unterschiedlichen Herrschaftsstrukturen in deutschen und britischen Kolonien in Westafrika kennen. Außerdem, und das ist vielleicht der interessanteste Aspekt dieses Buches, erzählt der Autor, in welchem Spannungsverhältnis der europäische Islamdiskurs vor dem Hintergrund kolonialer Realität geführt wurde. Auf der einen Seite wurde Afrika als "kultur- und zivilisationsfreie" Region betrachtet und der Islam als rückständig. Auf der anderen Seite wiederum wurde der islamischen Welt als bekannte und teilweise auch respektierte benachbarte Kultur ein zivilisatorischer Wert zugesprochen, der den Islam als Bündnispartner interessant machte. So weist sowohl der Islam- als auch der Kolonialdiskurs in der Frage, ob der Islam zu "bekämpfen" sei oder nicht, eine hohe Bandbreite konkurrierender Standpunkte auf.
Diese unterschiedlichen Standpunkte spiegelten sich auch in den Kolonialpraktiken wider. Wo wurden muslimische Eliten in den Kolonien in die Herrschaftspraxis miteinbezogen, oft oder sogar gleichzeitig wurde der Islam aber begrenzt in seiner Ausübung oder gar bekämpft. Zu keinem Zeitpunkt gab es eine klare Entscheidung für oder gegen die Einbindung des Islams. Wahrscheinlich war das auch gar nicht möglich, da die Herrschaft über eine muslimische Bevölkerung ohne die lokalen Eliten kaum möglich gewesen wäre. Gleichzeitig sahen sich die Europäer aber auch mit religiösen Widerstandsbewegungen und sogar einer panislamischen Einigungsbewegung konfrontiert, die die koloniale Herrschaft grundsätzlich infrage stellte.
Gottschalk vermag es verständlich und spannend diese Spannungsverhältnisse, die sowohl den europäischen Diskurs als auch die koloniale Praxis prägten, darzustellen. Diese Studie mag einen sehr speziellen Aspekt des europäischen Kolonialismus behandeln, ist aber gerade deswegen sehr interessant zu lesen und zu empfehlen.
Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite.