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Jean Jülich ist immer der bekannteste Edelweißpirat gewesen, auch als man noch nicht wusste, dass er mal dazu gehört hat. Jülich gehörte als Gastronom und Karnevalist zur Kölner Stadtprominenz. Dass er mal wegen staatsfeindlicher Umtriebe in Gestapohaft steckte, und das als Jugendlicher von vierzehn oder fünfzehn Jahren, wurde erst bekannt, als er nach Israel fuhr, um in der Gedankstätte als "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet wurde.
Jean Jülich ist vier Jahre alt, als Hitler Reichskanzler wird. Seine Kindheit ist unter anderem davon geprägt, dass er durch die Verwandtschaft gereicht wird. Teilweise wächst er bei der Großmutter auf; als erst der Vater, dann eine Tante und die Großmutter ins Gefängnis kommen, kommt Jean in ein Kinderheim, das einem Gefängnis gar nicht so unähnlich ist. Nach einer Leidenszeit dort kommt er wieder bei der Verwandtschaft unter, verbringt die Sommer in der Eifel und als er zehn Jahre alt ist, beginnt der Krieg.
Der Sohn eines Kommunisten findet dann als dreizehnjähriger Schüler den Weg weg von der Hitlerjugend, zu der er gehören musste, hin zu Jugendlichen, mit denen er zusammen sein will. Es gibt in Köln einige Gruppen, die die bündischen Traditionen hochhalten, Lieder vom Meer, von den Steppen Amerikas und Asiens und von wilden Reisen und Kämpfen singen - und von der Freiheit. Diese Gruppen hatten damals viele Namen, doch heute ist der Begriff Edelweißpiraten der geläufigste. Der junge Jean Jülich lernt die Lieder zu singen und auf der Klampfe zu begleiten, geht mit den Edelweißpiraten auf Wochenendfahrten und prügelt sich mit Hitlerjungen.
Eigentlich ging es den Jugendlichen hauptsächlich ums Singen, ums Zusammensein und um ihre kleinen Fahrten und Wanderungen, doch das wurde sehr politisch. Die Lieder, die von fernen Ländern kündeten, waren verboten, Freiheit war eh ein Unwort im Dritten Reich und alle Jugendlichen, die sich den NS-Jugendorganisationen fernhielten, waren grundsätzlich verdächtig. Da die Edelweißpiraten von vornherein verdächtig waren, war es kein langer Weg, bis sie auch politisch wurden. Die Jugendlichen versorgten Kriegsgefangene und untergetauchte Juden - dass sie dafür stahlen, wurde ihnen auch noch nach dem Krieg als kriminelle Handlungen angekreidet -, sie verteilten Flugblätter mit einfachen Parolen und schrieben diese auch bei Nacht an die Wände.
Jean Jülich ist einer der jüngsten, die immer mal wieder ins berüchtigte EL-DE-Haus kommen, in winzige Zellen geworfen und bei Verhören systematisch gefoltert werden. Später geht es ins Gefängnis nach Brauweiler, wo die Gestapo einen ganzen Gefängnisflügel für ihre Zwecke zur Verfügung hat. Dort gesteht ihm Bartholomäus Schink, ihn verraten zu haben, weil er die Misshandlungen einfach nicht mehr ertrug. Schink ist mit sechzehn der jüngste der sechs Edelweißpiraten, die öffentlich im Arbeiterviertel Ehrenfeld erhängt werden.
Nach dem Krieg, den Jülich mit Glück überlebt, wird er erst Kioskbetreiber und später Wirt, betreibt nebenbei viel Karneval, wird Sitzungspräsident und gilt als kölsches Original. Aber als viele Jahre nach dem Krieg bekannt wird, dass er ein Edelweißpirat war, wird er angefeindet. Die jugendlichen Widerständler haben sich mit ihrem beherzten Kampf viele Feinde geschaffen, die auch nach Hitlers Niedergang noch mächtig blieben. Aber in den letzten zwanzig Jahren hat sich das Bild etwas gewandelt, die ehemaligen Edelweißpiraten, längst in Ehren ergraut, gehen, solange sie noch können, in Schulen und erzählen den heutigen Jugendlichen, was damals geschah. Jean Jülich ist eine Art Aushängeschild, einerseits wegen seiner persönlichen Bekanntheit, andererseits wegen seines Engagements, und so war er es auch, der 1992 auf dem legendären "Arsch huh"-Konzert auf dem Kölner Chlodwigplatz vor vielen tausend Menschen auftrat und mit vielen Kölner Musikern zusammen ein klares Zeichen gegen alte und neue Nazis setzte.
Jean Jülich hat, so weiß man nach Lektüre des Buches, ein ziemlich erfülltes Leben geführt. Spannend erzählt er von der Kindheit, von der kurzen und gefährlichen Zeit im Widerstand und den Zeiten nach dem Krieg. Allerdings gelingt es ihm nicht, den erzählerischen Bogen zu halten. So wirken einige Karnevalsanekdoten allenfalls ganz nett, kommen aber gegen die Erzählungen aus der Jugend bei weitem nicht an. Der Teil um den Karneval fällt heraus und macht das Buch ein wenig unrund. Allerdings sind die immer wieder auftauchenden Anfeindungen, der Kampf um die Rehabilitierung der Edelweißpiraten wieder ein Kapitel, das erschreckt und aufrüttelt und somit auch zum Lesen nötigt.
Die Biographie ist von Kiepenheuer und Witsch geschmackvoll aufgemacht, ein Vorwort von BAP-Sänger Wolfgang Niedecken führt in die Lektüre ein. Irgendwie wäre ein preiswerteres Taschenbuch bei diesem Thema vorzuziehen, schließlich bietet sich diese Biographie auch als Schullektüre an, allerdings bei weitem nicht bei einem Preis von 19,90 Euro - aber was nicht ist, kann ja noch werden.