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 Olga

Autoren: Bernhard Schlink
Verlag: Diogenes

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Gefühl
Preis - Leistungs - Verhältnis
Spannung
Bernhard Schlink ist vor allem mit seinem Roman "Der Vorleser" berühmt geworden. Darüber hinaus ist er Autor einiger Krimis und Essays. Mit "Olga" hat er nun einen weiteren Roman mit historischem Hintergrund vorgelegt, in dem deutsche Geschichte und persönliche Schicksale ineinander verwoben sind.

"Olga" ist dreigeteilt. Im ersten Teil erzählt ein auktorialer Erzähler von der schwierigen Liebesgeschichte zwischen Olga, einer Lehrerin aus armen Verhältnissen und Herbert, einem Sohn reicher Guts- und Fabrikbesitzer, während des Vorabends des Ersten Weltkrieges.
Der zweite Abschnitt ist aus der Perspektive des Ich-Erzählers Ferdinand geschrieben, der Olga als Angestellte seiner Eltern während seiner Kindheit und Jugendzeit in der frühen Bundesrepublik als eine Art Großmutter-Ersatz kennenlernt.
Der letzte Teil ist schließlich ein Briefroman. Briefe, die Olga zwischen 1913 und 1971 an Herbert geschrieben hat, lösen Handlungsstränge auf und erklären einiges, was in der Hauptfigur während ihres Lebens vorging ...

Schlinks neuester Roman ist ein formales Experiment mit berührenden Motiven und einer starken Hauptfigur, dessen Schicksal dem Leser nahe geht, und nicht zuletzt eine "Tour de Force" durch die deutsche Geschichte von Bismarck bis zur Gegenwart.

Zunächst zu den Stärken des Romans. Der Autor versteht es wunderbar, den Leser mit der Hauptfigur Olga mitfühlen zu lassen. Sie ist eine starke Frau, die sich schon als Mädchen nicht mit der Rolle zufriedengibt, die ihr die Gesellschaft zuteilen will. Sie erkämpft sich den Weg auf eine höhere Schule und wird Lehrerin. Zeit ihres Lebens engagiert sie sich, für Schülerinnen, in der Kirche, in ihrer Gemeinde. Ihre große Liebe zu Herbert, der auch sie liebt, kann sie nur selten ausleben, da seine Familie sie nicht akzeptiert und Herbert weder mit ihr noch mit seinen Eltern brechen kann. Also begibt er sich auf weite und lange Reisen, wird zum Soldaten und Entdecker und riskiert sein Leben, um zur "Größe" Deutschlands einen Beitrag zu leisten, wie er meint.

Schon während des ersten auktorial geschriebenen Teils fühlt der Leser mit Olga mit, die fleißig arbeitet und doch keine Karriere machen darf, und die treu liebt, aber der kein familiäres Glück beschieden ist. Im zweiten Abschnitt, in dem sie eine großmütterliche Beziehung zu Ferdinand aufbaut, erscheint sie als alte Frau, die mit ihrem Schicksal Frieden gemacht hat. Die ganze Tragik ihrer Biografie wird dem Leser dann doch erst im dritten Abschnitt verdeutlicht. Ferdinand stößt Jahrzehnte nach Olgas Tod auf einen Bündel Briefe, die sie an Herbert geschrieben hat. In diesen wird Olgas ganze Gefühlswelt offenbart, aber auch Konsequenzen von Herberts wie Olgas Entscheidungen, die bis dahin nur angedeutet wurden und nicht nur sie allein treffen, werden dem Leser nun klar.

Das Grundmotiv von Schlinks Roman ist stark und berührt. Der Schreibstil fesselt, sodass der Leser den Text am Liebsten in einem Zug lesen möchte. Allenfalls der zweite Abschnitt fällt hier etwas ab, aber das erste und letzte Drittel wollen verschlungen werden.

Dennoch hat der Roman auch einige Schwächen. So wird dem Leser im Grunde nicht klar, warum die drei Abschnitte sich so stark formal unterscheiden müssen. Die Idee, Olgas Leben zunächst auktorial oder aus einer anderen Ich-Erzähler-Perspektive zu beschreiben, um sie dann im letzten Abschnitt selbst zu Wort lassen zu kommen, überzeugt und verstärkt die emotionale Wirkung des Buches. Aber der Wechsel vom auktorialen zum Ich-Erzähler wirkt unnötig und gibt dem Text etwas Experimentelles. Auch merkt der Leser stellenweise, dass Schlink ein Krimiautor ist. Die Auflösung so mancher lange unbeantworteter Fragen im letzten Teil erinnert vielleicht ein Stück zu weit an einen gut konstruierten Kriminalfall.

Außerdem hat der Leser an diversen Stellen das Gefühl, dass er durch die deutsche Geschichte sprinten muss und der Roman vielleicht zu kurz geraten ist. Bismarck, deutsche Kolonialkriege, der Erste Weltkrieg, die Weimarer Republik, der Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg und die Vertreibungen danach, die Adenauer-Zeit und schließlich die 68er, alles wird mit dem Leben Olgas irgendwie verwoben auf nur dreihundert Seiten. Einiges ist noch nicht verinnerlicht, schon kommt die nächste historische Zäsur. Das ist letztlich zu dicht und zu viel auf einmal. Hier war "Der Vorleser" deutlich überzeugender mit seinem Fokus auf bestimmte Phasen deutscher Geschichte. Großartig ist allerdings, dass Schlink dem deutschen Kolonialismus und dem Streben nach nationaler "Größe", das seiner Hauptfigur so missfällt und als große Klammer für das geschichtliche Panorama dient, breiten Raum gibt. Kaum ein Roman hat je diesen Gegensatz zwischen konkretem, vermeintlich "kleinem" Glück und dem Streben nach historischer Größe, was immer das sei, deutlicher gemacht.

So hat der Roman zwar eine große formale Unebenheit und wirkt teilweise wie ein Zeitraffer deutscher Geschichte, aber dennoch liest er sich großartig. Die Liebesgeschichte Olgas und Herberts, die an den Verhältnissen und Ideen ihrer Zeit scheitert, und deren ganze Konsequenz für das weitere Leben Olgas lassen den Leser nur schwer wieder los, auch nachdem er das Buch geschlossen und weg gelegt hat.

Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagswebsite.

Andreas Schmidt



Hardcover | Erschienen: 12. Januar 2018 | ISBN: 978-3257070156 | Preis: 24,00 Euro | 320 Seiten | Sprache: Deutsch

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