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Eigentlich führt Surab ein unspektakuläres Leben. Er hat seinen Arbeitsplatz verloren, doch seine Frau Tina verdient genug, um die Familie durchzubringen, und so kümmert sich Surab um die gemeinsamen Kinder. Um ihn pulsiert das Leben im Tiflis im Jahr 2012.
Eines Tages zieht ein junger Mann in eine Wohnung im gegenüberliegenden Haus. Er besitzt einen auffälligen roten Alfa Romeo und hat einen Lebensrhythmus, der so gar nicht jenem von Surab entspricht. Surab, mit zu viel Zeit ausgestattet und unterfordert, beginnt, seinen Nachbarn zu beobachten.
Dieser bemüht sich nicht, seine eigenwillige und – je nach Einstellung – amoralische Lebensweise zu verbergen. Eine Zeitlang bleibt Surab die Rolle des Voyeurs, der mittels der Kamera seiner Frau alles dokumentiert, was ihm im Haus gegenüber vor die Linse kommt, doch dann geschieht ein Verbrechen. Surab als Zeuge sieht seine Zeit gekommen. Er möchte im Gegenzug zu seinem Schweigen nur einen Job. Und er löst eine regelrechte Lawine aus.
"Eine Geschichte, irgendwo zwischen Patricia Highsmith und Hitchcocks «Fenster zum Hof», spannungsreich und literarisch raffiniert", so annonciert der Verlag den Erstlingsroman des georgischen Autors Davit Gabunia. Da ist was dran. Der arbeitslose, gelangweilte Protagonist Surab, dessen Beobachtung und Dokumentation des Lebens seines Nachbarn, einer männlichen homosexuellen Edelprostituierten, für ihn zur Obsession wird, beobachtet einen Mord – und will eine Win-Win-Situation herstellen. Er verspricht Stillschweigen gegen einen Job. Doch er ahnt nicht, was er damit lostritt. Vor allem aber hat er in seiner Besessenheit vom Geschehen gegenüber gar nicht mitbekommen, dass sich seine frustrierte Frau auf der Arbeit in eine Amour fou gestürzt hat und somit nicht nur die fremde Welt des Mörders, sondern auch seine eigene ist, die zu zerbersten droht.
Es sind fünf Menschen, die in Gabunias Roman nach dem Glück suchen und dabei gewissermaßen mit Pauken und Trompeten scheitern. Die einzelnen Kapitel tragen ihre Namen und spiegeln jeweils ihre Perspektive wider. Daher kann sich der Leser von keiner dieser Personen wirklich distanzieren, auch wenn sie, jede auf ihre Weise, eine Menge unsympathische Eigenschaften in sich tragen. Aber eben auch liebenswerte – ein bisschen jedermann steckt in jedem der Protagonisten, und so mag der Leser niemanden in Bausch und Bogen verurteilen.
Dass er somit zum Differenzieren gezwungen ist, macht einen Gutteil der Spannung des Romans aus, die Handlung an sich einen weiteren, denn sie ähnelt durchaus einem Thriller, wäre da nicht das letztlich schlichte Anliegen des Voyeurs Surab, das vom Mörder zwangsläufig missverstanden wird. Gerade dies, zusammen mit anderen Missverständnissen, macht aber den Reiz des Romans aus. Jeder Protagonist ist in seiner Welt verhaftet und begreift nicht, wie die anderen "ticken". Vor dem Hintergrund des politischen Umsturzes und des dräuenden Kriegs mit Russland lässt sich daraus eine sehr tief gehende Bedeutung ablesen.
Georgien und seine Literatur sind durch Georgiens Funktion als Gastland der Frankfurter Buchmesse in den Fokus interessierter Leser gerückt. Davit Gabunias Roman darf unter den daraus resultierenden Veröffentlichungen in deutscher Sprache sicher zu den interessantesten Entdeckungen gehören. Charaktere, die sich dem Leser unmittelbar erschließen, eine geradlinige, schließlich in Eigendynamik aufgehende Handlung und ein spannender zeitgeschichtlicher Hintergrund machen "Farben der Nacht" zu einer sehr empfehlenswerten Lektüre.
Eine Leseprobe gibt es auf der Verlagsseite.