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Wer sich langweilt, will das normalerweise nicht. Langweilen ist schwer erträglich oder gilt als Zeitverschwendung. Doch warum? Ist sie nicht eigentlich ein wohltuendes Gegenteil zum Stress der modernen, digitalisierten und auf Effizienz zielenden Gesellschaft? Barbara Streidl versucht, in einem einhundert-seitigen Porträt der Langeweile genau das zu erfassen, ihre negativen und positiven Seiten.
In sieben Kapiteln nähert sie sich dem Thema, indem sie meistens mit einem Bezug auf Philosophen oder Künstler zu ergründen sucht, was Langeweile überhaupt ist, welche Formen sie annimmt, woher das Wort stammt und welchen Nutzen sie haben könnte. Jedes Kapitel wird ergänzt durch Informationskästen, die Beispiele aus dem Leben oder aus Studien beschreiben, und endet mit einer schlagwortartigen Zusammenfassung des gerade Gelesenen.
Barbara Streidls kleines Büchlein zur Langeweile soll ein Porträt sein, ist aber auch ein Plädoyer für Mut zu mehr Langeweile in unserer von Stress gezeichneten Welt. Der kurze Text liefert einige interessante Gedanken und Einordnungen, aber ist keine systematische Abhandlung, eher ein Mosaik, bestenfalls ein unabgeschlossenes Essay, in jedem Fall keine umfassende oder abschließende Studie zum Phänomen Langeweile.
Das Gute an diesem Konzept ist die enorm kurzweilige Lesbarkeit des Buches. Es ist so kurz, dass der Leser es in zwei bis drei Stunden durch haben kann, und so leichtgängig geschrieben, dass definitiv keine Langeweile aufkommt. Enttäuscht sind aber etwaige Leser, die hier eine tief greifende und fundierte Studie erwarten. Das ist es nicht. Zwar werden viele etymologische, philosophische und psychologische Texte und Einsichten zitiert, aber es bleibt bestenfalls bei einem einführenden Charakter, von dem aus der Leser bei stärkerem Interesse aber sehr gut weiter zum Phänomen der Langweile recherchieren kann.
So deutlich die essayistische Form des Textes ist und keinen Anspruch auf wissenschaftliche Vollständigkeit und Systematik erhebt, so unklar bleibt nach der Lektüre allerdings die Radikalität der Botschaft. Während der Leser auf den ersten Seiten häufige auf negative Erfahrungen der Langeweile hingewiesen wird überwiegen zum Ende hin die positiven Aspekte. So sei Langeweile, wenn sie andauert, ständig da ist, sie existenziell wird, eine große Gefahr sowohl für die betroffene Person als auch seine Umgebung. Ein Beispiel von vielen dafür: John Lennon wurde, so die Autorin, 1980 von einem Mann erschossen, der seine eigene Existenz als langweilig und bedeutungslos empfand und durch die Tat um jeden Preis Spannung und Bedeutung in sein Leben bringen wollte. Gleichzeitig schreibt Streidl aber auch durchgehend von vielen Beispielen aus der heutigen Arbeitsgesellschaft, in der Menschen zu nichts mehr kommen und nichts mehr wirklich erleben, sondern nur noch arbeiten, von Termin zu Termin hetzen und schließlich ausbrennen. Langeweile wird hier als Kontrapunkt zum Alltagsstress des modernen Kapitalismus gesetzt, um sich selbst und andere zu schützen. Auch wird viel von Künstlern berichtet mit dem Ziel, dem Leser einen möglichen Zusammenhang zwischen Phasen der Langeweile und Kreativität zu vermitteln.
Schließlich endet das Buch mit einem Plädoyer für mehr Mut zur Langeweile oder vielleicht meint Streidl Müßiggang und Erholung. Langeweile kann, so verstanden, ein Schutzschild oder ein Erholungsmittel gegen Stress sein, die sich jeder gönnen und zugestehen sollte. Das würde sicher jeder unterschreiben. Aber beim Nachdenken über das Gelesene bleiben dennoch viele Fragen: Bis zu welchem Grad ist Langeweile positiv und ab wann beginnt sie zu schaden? Ist mit Langeweile ein Begriff gemeint, der synonym zu Müßiggang oder Ausruhen verstanden werden kann? Ist Langeweile vielleicht nur im Kontext des modernen Kapitalismus und seines brutalen Zeitdrucks positiv zu begreifen oder handelt es sich um eine anthropologische Konstante bei dieser Auffassung? Sollte Langeweile bloß genutzt werden, um sich wieder für den Alltagsstress fit zu machen oder sollte die moderne Arbeitswelt mittels positiver Langweile nicht viel radikaler in Frage gestellt werden?
Der kurze Text lässt also viele Fragen offen, was nicht schlecht sein muss für Leser, die weiter über Langeweile nachdenken wollen. Die Botschaft ist am Ende aber doch klar genug, um das Büchlein durchaus allen zu empfehlen. All das Arbeiten und Hetzen heutzutage hat keinen Sinn, wenn sich niemand die Zeit nimmt, die Welt auch mal in aller Ruhe auf sich wirken zu lassen und zu genießen.
Eine Leseprobe gibt es auf der
Verlagswebsite.