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Privatdetektiv Philip Marlowe soll sich um eine Erpressungssache kümmern: Sein Auftraggeber, ein sehr alter, sehr kranker und sehr, sehr reicher General namens Sternwood hat zwei Töchter, beide wenig über zwanzig Jahre alt, die gründlich über die Stränge schlagen. Carmen, die jüngere, hat sich in größere Schwierigkeiten als üblich gebracht, und nun ist es an Marlowe, diese Angelegenheit zu regeln.
Nicht ganz unerwartet stößt er bei seinen Ermittlungen auf die geballte Unterwelt von Los Angeles - die großen Gauner, die entspannt über Leichen gehen, ohne sich selbst die Hände schmutzig zu machen, und für die ein paar tausend Dollar nichts bedeuten; mittlere, die allzu oft nach oben zum großen Geld schielen, und kleine, die bisweilen versuchen, ein Stück vom großen Kuchen abzubekommen, und meistens teuer dafür bezahlen. Diverse fragwürdige, kurvige Blondinen kreuzen seinen Weg. Und eben die eine oder andere Leiche.
Natürlich erledigt er seine Aufgabe und zudem eine weitere, die ihm eigentlich gar nicht explizit zugewiesen wurde, doch als Profi versteht er sich auch auf das Unausgesprochene.
Raymond Chandler hat mit dem Privatdetektiv Philip Marlowe Maßstäbe in der Geschichte des Kriminalromans gesetzt. Nun hat Diogenes eine Neuübersetzung von "Der große Schlaf", dem ersten Roman um Marlowe, herausgebracht.
Darin geht es nun also um eine zunächst eher simpel erscheinende Erpressung: Ein zweifelhafter Buchhändler besitzt Schuldscheine zuungunsten einer leichtfertigen Tochter aus reichem Hause. Bald findet Marlowe heraus, dass der Buchhändler in schmierige Geschäfte verwickelt ist. Je mehr er nachbohrt, desto komplexer werden die Verstrickungen. Marlowe geht gelassen und professionell an den Fall und die Gangster samt den mit ihnen verbandelten Blondinen heran - jedenfalls meistens.
Melancholisch tut Marlowe seine Arbeit, von der er weiß, dass sie die Welt nicht besser machen wird. Er tut sie vor einem atmosphärisch extrem dichten Hintergrund, einem Großstadtflair, das dem heutigen Leser nicht fremd ist, auch wenn jemand, der mit dem Verleih und Verkauf pornografischer Bücher sein Geld verdient, längst nicht mehr ein moralinsaures Schaudern auslösen kann. Da wirkt Chandler dann doch sehr "retro", um es salopp zu sagen; die Marlowe-Romane sind eben eine Form des Zeitdokuments und haben doch mit ihrer meist eher unterschwelligen Spannung, dem Regen als einem Stück Natur in der Großstadt und stimmungserzeugendem Element und all den Figuren, die halb aus Klischee und halb aus scharf und aufmerksam gezeichneten Ecken und Kanten zu bestehen scheinen, einen unvergleichlichen, dabei zeitlosen Charme. "Der große Schlaf" ist in dieser Übersetzung, die sich der knappen, knallenden Sprache des Originals geschickt bedient und doch dem Sprachgefühl des heutigen Lesers entgegenkommt, angenehm lesbar und fesselt bis zum Schluss.
Als interessant und aufschlussreich erweist sich das Nachwort des Übersetzers. Lohnende Lektüre! Donna Leon erläutert in ihrem Nachwort, wie Chandler den Kriminalroman aus der beschaulichen Agatha-Christie-Dörflichkeit mit dem klaren, Recht und Ordnung wieder herstellenden Ende hin zum Großstadtkrimi geführt hat, in dem ein solches Ende weder möglich ist noch erwartet wird.
Auch abgesehen vom eigentlichen, ohnehin seit Jahrzehnten gewürdigten eigentlichen Krimi in einer treffsicheren Neuübersetzung hat Diogenes eine rundum gelungene, einschließlich der Nachworte sehr lesenswerte Ausgabe des ersten "Marlowe" geschaffen.
Eine Leseprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.