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Seit Daniel Pitts Aufsehen erregendem ersten Prozess als Rechtsanwalt in einer renommierten Londoner Kanzlei sind ein paar Monate vergangen, und Daniel freut sich auf ein besonderes Ereignis: Seine Schwester Jemima kommt zum ersten Mal nach mehreren Jahren mit ihrem Mann, einem Polizisten, und den beiden kleinen Töchtern aus Amerika zu Besuch. Daniel kennt die kleine Familie seiner Schwester bislang nicht.
Schon bald tritt sein Schwager mit einem Anliegen an ihn heran - die zwanzigjährige Tochter von guten, einflussreichen Freunden aus Washington sei vor ein paar Wochen nachts in ihrem Zimmer überfallen und einer Kette beraubt worden. Ihr Vater habe den Übeltäter erkannt: Philip Sidney, Angestellter der britischen Botschaft. Dieser ist mittlerweile nach England geflohen. Nach Ansicht des Schwagers soll Daniel unbedingt gegen Sidney vorgehen.
Doch unversehens muss Daniel die Verteidigung des jungen Diplomaten übernehmen und gerät in einen handfesten Interessenkonflikt, zumal er rasch ziemlich sicher ist, dass es sich bei Sidney nicht um den Schuldigen handelt. Und es sieht ganz danach aus, als ob es um wesentlich mehr ginge als das Verbrechen an der jungen Frau.
Schon beim ersten Fall erwies es sich als gute Idee von Anne Perry, eine eigene Reihe mit dem Sohn ihres Serienhelden Sir Thomas Pitt aufzulegen. Während der Vater eine bedeutende Position beim Geheimdienst innehat, muss sich der Sohn die Sporen als Anwalt noch verdienen – doch besitzt er, wie Band Eins (
"Todesurteil im Old Bailey") bereits zeigte, reichlich Potenzial.
Nun, in der Zwickmühle zwischen familiärem Druck und rechtsanwaltlichen Pflichten, dazu unter enormem Zeitdruck, gilt es, wirklich in alle Richtungen zu ermitteln. Und in der Tat ist die Ermittlung hier Aufgabe des Rechtsbeistandes, da die Beweislage gegen den Angeklagten erdrückend erscheint. Dennoch gibt es Ungereimtheiten. Bis eine Spur auf eine Kanalinsel führt und eine unerwartete und bedrohliche Lösung aufzeigt.
Geschickt greift die Autorin ein brennendes Thema jener Epoche kurz vor dem Ersten Weltkrieg auf, als England sich noch als Weltmacht wähnte und doch viel verwundbarer war, als es sich je eingestanden hätte. Daniel Pitt, zwischen allen Stühlen festsitzend, gelangt nur mit sehr viel Intuition, logischem Denken, dem Ausnutzen von unterschiedlichsten Kontakten und ein bisschen Glück zur Lösung. Dümpelt der Fall zunächst recht friedlich vor sich hin, während die familiären Angelegenheiten vorn stehen, so nimmt die Handlung mit der Zeit mächtig Fahrt auf, bis die Spannung zum Greifen ist. Und sie fällt nicht mehr ab bis zum eindrucksvollen Showdown im Gericht.
Anne Perry bietet eine gelungene Mischung aus schon bekannten Figuren wie Daniels eigener Familie, den angesehenen Pitts; einer halbseidenen Familie, deren Sohn Daniel einmal vor der Todesstrafe gerettet hat; den Angehörigen der Kanzlei, nicht zuletzt einschließlich Daniels kauzigem Kollegen Kitteridge, sowie der Tochter des Kanzleichefs, eine Medizinerin, die nicht praktizieren darf, weil sie eine Frau ist – und neuen Charakteren, zu denen Daniels bislang nur indirekt eingeführte Schwester Jemima und ihr Mann gehören sowie natürlich der Angeklagte und die amerikanische Familie, die ihn bestraft sehen will, und einige mehr. Diese Figuren wirken authentisch, ebenso das Setting. Der Ausflug auf die Kanalinsel Alderney ergibt neben den Hinweisen für den Fall jede Menge charmantes Lokalkolorit. Und ganz nebenbei zeigt sich eine Gesellschaft im Umbruch. Der Kriminalfall selbst gerät dabei zu keiner Zeit aus dem Fokus.
Ganz einfach ein rundum gelungener historischer Krimi, der neugierig macht auf die Fortsetzung!
Eine Leseprobe wird auf der Verlagsseite angeboten.