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"Da läuft ein Schwein". So beginnt der Prolog dieses Romans. Und jenes Tier wird an diesem Tag in Brüssel noch eine Menge Menschen erstaunen, beunruhigen oder gar ängstigen. Mit seinem Auftauchen erlaubt es die Flucht eines Mörders aus einem der umliegenden Hotels. Alle schauen auf das Schwein. Niemand achtet auf ihn. Was passiert noch in diesem Roman?
Eine zypriotische EU-Beamtin will mit ihrem "Big Jubilee Project" zum 50. Jahrestag ihrer Gründung das Ansehen der EU-Kommission aufpeppen. Sowie ihre Karriere gleich mit. Dabei stößt sie auf so manches Hindernis. Allen voran die üblichen Verdächtigen wie die Finanzierung, die Bürokratie und divergierende Interessen der unterschiedlichen Beteiligten.
Einer ihrer Kollegen fährt zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz zur dortigen Gedenkfeier. Durch seinen Besuch inspiriert, möchte er Veteranen aus dem Konzentrationslager im Rahmen einer Veranstaltung des "Big Jubilee Projects" einladen. Um Kosten zu sparen, soll jedoch nur ein einzelner Veteran teilnehmen. Eine lange Suche beginnt. Während ihrer Dauer lernt der Leser diesen Mann und seine Geschichte bereits kennen.
Ein weiterer Kollege entwickelt die Idee, dass Europa eine Hauptstadt brauche. Und die könne nur Auschwitz heißen.
Währenddessen versucht ein Brüsseler Hauptkommissar, den Mörder der Hotelleiche zu finden.
Weitere Protagonisten betreten die Bühne des Romans. Jeder von ihnen hat mit seinem eigenen, besonderen Schicksal zu kämpfen. Manchmal auch zu hadern.
Hauptdarsteller und Klammer dieses Romans ist die Europäische Union. Mit all ihren Versprechungen, Hoffnungen und Illusionen. Mit ihrer Bürokratie, ihren zähen Verhandlungen, den Enttäuschungen, die sie bereitet. Robert Menasse erzählt sein ganz besonderes "Jubilee Project" auf die EU in vielen Episoden. Mit großartigem Wortwitz und Humor. Aber auch mit einer nachdenklichen Melancholie, mit der er einige seiner "Darsteller" ausstattet. Menasse wechselt genial zwischen Realität, Illusion und Utopie. Und beschäftigte nach Erscheinen des Romans monatelang die Kritiker mit dem Ursprung seiner These, Auschwitz sei die einzig wahre Hauptstadt Europas. Später musste der Autor einräumen, dass die von ihm evozierte Rede Walter Hallsteins, des Präsidenten der ersten Kommission der EWG (eine Vorläuferin der EU) von ihm erfunden wurde. Das hat ihm viel Kritik eingebracht. Wird der derzeitige Zustand der EU mit Flüchtlings- und Corona Krise betrachtet, erhält diese Idee eine enorme Anziehungskraft. Zeigt doch Auschwitz uns Nachgeborenen, welch finsteren Zeiten wir entronnen sind, um Brecht zu zitieren. Und sie zeigt uns, welch ein großartiges Friedensprojekt Europa ist. Trotz all seiner Fehler.
Der Roman Menasses wird von Christian Berkel eingelesen. Den meisten Hörern wird Berkel aus dem Fernsehen bekannt sein. Beispielsweise in seiner Rolle als LKA Kommissar Bruno Schumann in der ZDF-Serie "Der Kriminalist". Welch großartiger Schauspieler er ist, kann der Hörer in der hier vorliegenden ungekürzten Lesung erleben. Er gestaltet die Figuren mit großem Feingefühl. Dabei gibt er jedem der Protagonisten eine eigene Stimme im ganz wörtlichen Sinn. Der Hörer erkennt die einzelnen Personen sofort an der Klangfärbung und dem Sprachduktus, die Berkel ihnen verleiht. Der Schauspieler vermag den differenzierten Text des Autors wunderbar zu strukturieren und zu gestalten. So verliert der Hörer trotz der Komplexität nie den Überblick. Ein Hörgenuss der ganz feinen Art
Auf der Verlagsseite ist neben weiteren Informationen zum Werk auch eine Hörprobe vorhanden.