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Dass der Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk auch ein leidenschaftlicher und talentierter Fotograf ist, dürfte nicht jedem seiner Leser bekannt sein. Doch der Schriftsteller fotografiert bereits seit seiner Jugend. Eine Kostprobe seiner Fotokunst bot der Steidl Verlag Interessierten vor zwei Jahren mit
Balkon an. Die darin gezeigten Fotografien stammen vom Winter 2012/2013, als Pamuk von seinem Balkon aus Tausende Fotos vom Bosporus schoss.
Auch "Orange", der neue Fotoband des türkischen Autors, ist eine serielle Arbeit. Pamuk war aufgefallen, dass in seiner Heimatstadt Istanbul die alten Straßenlaternen mit ihrem orangegelben Licht zunehmend verschwanden und durch kühles weißes Licht ersetzt wurden, ebenso wie die Beleuchtung der Wohnungen. Er zog aus, um die orangefarbenen Impressionen festzuhalten, solange sie noch existierten – sie und die Milieus in den abseits der Touristenzentren gelegenen Gassen und Straßen, die er schon immer gern erkundete.
Im Vorwort – eine englische Übersetzung aus dem Türkischen – berichtet Pamuk anschaulich, wie ungläubig sein Umfeld auf seine Beobachtung des Rückzugs der gelblich-orangen Stadtlichter reagierte. Er erzählt von den nächtlichen Foto-Touren mit einem ihm seinerzeit von der Regierung verordneten Bodyguard und dessen Aufrücken und Abstandhalten je nach Gefährlichkeit des umgebenden Kiezes. Auch die Reaktionen der Menschen auf den von ihm fotografierten Straßen und Plätzen beschreibt er ausführlich und voller Empathie. Ganz der exzellente Schriftsteller, weiß Pamuk den Leser mit diesem Vorwort in seinen Bann zu ziehen und neugierig auf die Bilder zu machen. Diese erschließen sich dank dem Text auf Anhieb.
Es sind viele Bilder zum immer gleichen Thema, einander ähnlich und doch mit einer jeweils eigenen kleinen Geschichte, die der Betrachter ergründen kann. Mehr oder weniger gut erhaltene Fassaden, Straßen aus Asphalt oder Kopfsteinpflaster, bisweilen verschneit, manchmal nass, gerade oder gekrümmt, oft abschüssig oder ansteigend, Ausblicke von einem erhöhten Standort aus auf niedriger oder weiter entfernt gelegene Stadtbereiche. Eine Baustelle. Und natürlich Menschen. Zufällige Passanten oder Leute, die an Tischen draußen sitzen in einer Art auf die Straße ausgedehntem Wohnzimmer. Kinder, die posieren oder durchs Bild huschen. Beleuchtete Läden. Wäsche, die auf Leinen über der Straße hängt. Stille Ansichten und temperamentvolle Szenen, die fast wie Kino wirken. Und alles in dem warmen, orangefarbenen Licht, das eine ganz eigene Nostalgie schafft und vieles, was am Tage hässlich und verfallen wäre, romantisch verklärt. Auf die digitale Entfernung von potenziell störenden Bildelementen wie auf der Straße liegendem Müll ("Wegstempeln") hat Pamuk freilich verzichtet, sein Ziel ist offensichtlich viel mehr die Dokumentation als die Idealisierung.
Gelegentlich grätscht von irgendwoher, sei es aus einem Fenster, sei es von einer neueren Straßenlaterne, weißes Licht in ein Foto. Diese Bilder lassen den Betrachter erst recht nachvollziehen, warum Pamuk an den aussterbenden gelben Leuchten hängt. Der Kontrast sticht direkt ins Auge. Aufdringlich zieht das grelle Weiß den Blick an und lenkt von der gelungenen Komposition ab – ein mit Sicherheit gewollter Effekt.
Etliche Bilder haben einzelne Seiten für sich, bisweilen auch eine Doppelseite. Meist finden sich mehrere Fotos pro Seite. Auch bei ihnen lohnt sich das Verweilen, wenngleich sich die gestalterische und motivische Raffinesse der Fotos bei den größeren Formaten natürlich besser erschließt. Auch für (Noch-)Nicht-Istanbul-Fans bietet das Buch eine Entdeckungsreise in eine nostalgische Vergangenheit und eine besondere fotografische Motivwelt. Das verwendete hochwertige Papier und der auch haptisch ansprechende Leineneinband tragen nicht unwesentlich zum Lese- und Betrachtungsgenuss bei.
Ein Blick ins Buch wird auf der Verlagsseite angeboten.