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 Stille Städte

Als die Welt den Atem anhielt

Verlag: teNeues

Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis
Der TeNeues Verlag, Fotografie Aficionados, seit jeher bekannt als Herausgeber guter und interessanter Fotobücher, hat einen Band herausgegeben, der die Leser auf eine fotografische Weltreise in die Stille der Städte während des ersten Corona-Lockdowns mitnimmt. Diese Reise führt uns unter anderem nach Venedig, Barcelona, Liverpool, Warschau, Moskau. Nach Los Angeles, Las Vegas, Vancouver, Rio, Sydney, Jerusalem, Kapstadt, Addis Abeba, Hongkong, Taipeh und zuletzt nach Wuhan. Dort, wo die Pandemie ihren makabren Siegeszug über den Globus begann. All diese Orte zeigen ein neues, geradezu intimes und verletzliches Gesicht. Gerade auch dann, wenn ihnen Bilder vom gleichen Ort aus Zeiten vor der Pandemie gegenübergestellt werden. Der Bildband zeigt Arbeiten sowohl von Profi-Fotografen als auch von engagierten Amateuren, deren Fotografien sich nicht hinter denjenigen der Berufsfotografen verstecken müssen.

Ergänzt werden die atmosphärisch dichten Bilder durch Zitate von Schriftstellern, Politikern, Wissenschaftlern sowie von Nachrichten aus verschiedenen Medien zu wenig beachteten Ereignissen und Nebeneffekten während der Corona-Pandemie.

Exemplarisch seien hier drei Fotografien näher unter die Lupe genommen.

Amsterdam. Das Restaurant am Art Center Mediamatic, an einem Kanal gelegen, machte aus der Not des Abstandhaltens eine Tugend der Inszenierung als Kunstobjekt. Um die Corona-Regeln umzusetzen, positionierte es am Ufer des Kanals Gewächshäuser, in denen jeweils 2 Personen an einem Tisch Platz genommen haben. Die Szenerie, zur Blauen Stunde aufgenommen, wird beleuchtet durch eine Lichterkette, einige Straßenlaternen sowie die erleuchteten Fenster eines Hauses auf der gegenüberliegenden Seite. Dies schafft eine zarte, intime Atmosphäre. Die Menschen in den Gewächshäusern werden Teil des Kunstobjekts, ebenso die Betrachter. So entsteht eine spannungsreiche Interaktion zwischen den Gästen des Restaurants und den Lesern.

Barcelona. Das noch verlassene gotische Viertel wird nach ersten Lockerungen zur Bühne für eine Tanzschülerin. Eloise ihr Name. Sie zeigt in weit ausladenden Armbewegungen und ebensolchen Schritten eine Improvisation zu einer Musik, die nur sie hören kann. Doch die Stille ist hörbar für die Betrachter. Es ist Nacht und die Straßenlaternen tauchen die Häuserkulisse in goldenes Licht, das mit Schatten auf Straße und Fassaden einhergeht. Die Bewegungen der Tänzerin wirken wie ein Akt der Befreiung nach den langen Wochen des Eingesperrtseins und des Verzichts. Die Leere des Platzes erinnert nach wie vor daran. Noch sind die Touristen nicht wieder zurückgekehrt. Mit dem heutigen Wissen um den Verlauf der Pandemie und die Maßnahmen, die sie evozierte, scheint dieses Bild gleichzeitig ein Blick zurück - zum vergangenen Lockdown - als auch ein Ausblick in die Zukunft für die kommende Reimplementierung der Einschränkungen zu sein. Dazwischen ein hoffnungsvolles und lebensfrohes Stück Gegenwart.

Ashkelon. Während in der Bucht von Venedig im letzten Jahr Delfine gesichtet wurden, steht in der israelischen Stadt am Mittelmeer ein Fuchs inmitten einer verlassenen Skater-Anlage. Die Aufnahme zeigt die geschwungenen Linien der Anlage, deren dunklere Farbe sich im Fell des Tieres fortsetzt. Nur die Anlage und der Fuchs. Es ist ein sehr intensiver Moment, der insbesondere wegen des Minimalismus der Aufnahme die Stille und die Einsamkeit des Ortes geradezu sinnlich spürbar macht. Dabei das Lachen der Skater umso schmerzlicher vermissen lässt.

Die gezeigten Fotografien sind von hoher fotografischer Qualität. Jede einzelne von ihnen erzählt eine besondere Geschichte. Die Bilder zeigen unserer Städte nackt. Ihre Straßen, Gassen, Plätze sind den Blicken der Betrachter ungeschützt ausgeliefert. Sie präsentieren ihre Schönheit, manche auch ihre Hässlichkeit ungeschminkt. Selbst die schönsten unter ihnen verwandeln sich, beraubt ihrer menschlichen Darsteller, für eine kurze Zeit zu Lost Places. Und zu wieder entdeckten Stätten großartiger Städteplanung und Baukunst.

Untertitelt werden die Fotos in englischer und deutscher Sprache. Die Schrift der deutschen Titel ist blasser, mit weniger Deckkraft gedruckt. Das führt bisweilen zu einer reduzierten Leserlichkeit. Der Eingangstext sowie die Zitate aus Medien und von Künstlern, Politikern, Wissenschaftlern sind ebenfalls in englischer und deutscher Sprache verfasst. Die Verarbeitung des Bildbandes ist, gemessen am Preis, ordentlich. Dennoch erscheint die Bindung des Bandes fragil und man sollte beim Umblättern und Glattstreichen vorsichtig sein.

Dereinst, wenn die Menschen die Pandemie beherrscht haben werden, wird dieser Bildband ein bleibendes Dokument sein aus einer Zeit, die in der Rückblende wie ein böser Traum erscheinen dürfte.

Claudia Ricker



Hardcover | Erschienen: 9. September 2020 | ISBN: 9783961713196 | Preis: 19,90 Euro | 191 Seiten

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