Zu den eindrucksvollsten Besitztümern des Wiener Kunsthistorischen Museums gehört zweifellos Rubens' Große Gewitterlandschaft, ein Werk, das immer wieder Rätsel aufgab. Einige davon konnten im Zuge einer vor Kurzem vorgenommenen gründlichen Restaurierung gelöst werden.

Im Verlag Hirmer ist ein Buch über dieses faszinierende Gemälde erschienen, eine - so lautet der Untertitel - "Anatomie eines Meisterwerks". Als Inhaltsangabe können die Kapitelbezeichnungen dienen; allerdings muss zum besseren Verständnis vorausgeschickt werden, dass die "Große Gewitterlandschaft" aus etlichen miteinander verleimten Holztafeln besteht, eine Eigenheit, die wesentlich zur Notwendigkeit der aktuellen und vorangegangener Restaurierungen beitrug.

Auf die Einleitung folgen die Kapitel "Provenienz und Quellen der Inspiration" und "Überlegungen anhand der Restauriergeschichte". Ihnen schließen sich mehrere Bildtafeln an. Diese zeigen unter anderem Abbildungen des Werks vor und nach der Restaurierung, Infrarot- und Röntgenaufnahmen, die Schäden und deren Herkunft deutlich sichtbar machen, Aufnahmen der vorherigen und der neuen Stützkonstruktion sowie Schemata, anhand derer sich die Schaffenshistorie wie auch die zu Rissen und anderen Beschädigungen führenden Probleme durch die Holztafeln als Malgrund (und teils durch Restaurierungsversuche) erschließen.
Die weiteren Kapitel sind mit "Analyse und Stabilisierung des originalen Bildträgers", "Dendrochronologische Untersuchung", "Entstehungsprozess und Maltechnik", "Zustand und Restaurierung der Bildvorderseite" sowie "Nach Rubens: Eine Zeichnung von Lucas Van Uden" überschrieben.

Rubens hat "Die Große Gewitterlandschaft" bis zu seinem Tod behalten, was darauf schließen lässt, dass er das Bild ohne kommerziellen Hintergrund, nur zu seiner eigenen Freude schuf. Schon die Betrachtung des Werks in seinem endgültigen Zustand bietet reichlich Raum für Interpretationen; noch deutlich interessanter wird das Œuvre jedoch, wenn – wie im Rahmen der Restaurierung geschehen – mit etlichen Methoden eine gründliche Analyse durchgeführt wird. In diesem Fall führte sie zu einer Fülle an Erkenntnissen unter anderem über massive Umgestaltungen, die Rubens im Laufe der Zeit vornahm; so wurde etwa die Figurengruppe mit Philemon und Baucis, die wir heute als zentralen Teil der Aussage ansehen möchten, erst spät hinzugefügt. In diesem Zusammenhang sei kurz auf das letzte Kapitel hingewiesen, das sich mit einer Zeichnung eines anderen Künstlers befasst, der seinerzeit ein Zwischenstadium der "Großen Gewitterlandschaft" skizziert hat, das dadurch indirekt erhalten blieb.
Auch fand sich eine schlüssige Erklärung dafür, warum Rubens als Untergrund die verleimten Holztafeln genutzt hat, obwohl er vermutlich selbst absehen konnte, dass dies auf längere Sicht zu Spannungen und somit Rissen, Farbabsplitterungen und anderen Schäden führen würde.
Nicht zuletzt fesselt zudem die Abfolge von Versuchen, das Werk zu restaurieren und letztlich zu retten, die teils freilich wahre "Verschlimmbesserungen" darstellten.

Zusammen mit all den anderen Informationen, die in den einzelnen Abschnitten dargeboten werden, ergibt sich eine detaillierte, facettenreiche Anatomie von Rubens' großem Werk; der Untertitel verspricht keineswegs zu viel. Zahlreiche Abbildungen ergänzen die Ausführungen: Fotografien, Röntgen- und Infrarotaufnahmen sowie Schemazeichnungen, die teilweise über Fotografien und andere Aufnahmen gelegt wurden, unter anderem zur Veranschaulichung von Dynamiken der Alterung des Holzes.
Die Texte sind auch für Laien gut verständlich gehalten. Das Buch macht aufgrund des breiten Spektrums an Untersuchungen und Herangehensweisen nicht nur die "Gewitterlandschaft" wunderbar zugänglich, sondern sensibilisiert die Leser auch für die zahlreichen Gefahren, die Kunstwerken durch äußere Einflüsse oder auch unsachgemäße Reparaturversuche drohen.
Ein faszinierender Ausflug in einen erstaunlich vielschichtigen Mikrokosmos!


Ein Blick ins Buch wird auf der Verlagsseite angeboten.