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 Der Untergang des Morgenlandes

Warum die islamische Welt ihre Vormacht verlor


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Aufmachung
Bildqualität
Preis - Leistungs - Verhältnis


Bernard Lewis beschäftigt sich in seinem Buch "Der Untergang des Morgenlandes" mit der Frage, die spätestens seit dem 11. September 2001 die Welt beschäftigt: Was lief schief (in Englisch auch der Originaltitel des Buches)? Wie kam es, dass die islamische Welt von einer führenden Kultur - die dem Westen in fast allen Bereichen weit überlegen war - zu einer Gesellschaft wurde, die in ihrer Entwicklung weit zurückliegt und deren Menschen sich als Opfer und Verlierer betrachten?

Das Buch beginnt mit einer Einleitung, die das Selbstbild der islamischen Welt erklären soll. So wird die Überlegenheit der islamischen Welt gezeigt und ihr (religiös) begründetes Selbstverständnis erklärt, das die Welt in - noch zu erobernde - Ungläubige und sie selbst einteilte. Auch der Konflikt mit dem Christentum wird schon früh gezeigt. Die zweite große Religion mit Missionscharakter wurde von den Muslimen als eine überholte Vorversion des Islam betrachtet, die alsbald dem Untergang geweiht sein würde. Dies würde spätestens dann eintreten, wenn man das ganze Abendland erobert hätte. Was zunächst auch als ein erreichbares Ziel schien. Der Islam eroberte weite Teile Europas und war kulturell und wissenschaftlich weit fortgeschritten.
Doch dann kam der Wandel: Der Westen holte auf, begann mit wissenschaftlichen und technischen Entdeckungen und Erfindungen den Vorsprung des Islam aufzuholen und an militärischer Stärke zu gewinnen. Die Einleitung endet an der Schwelle zum achtzehnten Jahrhundert. Die Osmanen, damals die vorherrschende Kraft der islamischen Welt, sahen sich zum ersten Mal gezwungen, in Friedensverhandlungen einzutreten und Gebietsverluste hinzunehmen. Irgendetwas hatte sich verändert und für sie war etwas sehr falsch gelaufen.

Es folgt ein Kapitel über den militärischen Wandel und die einsetzende Zusammenarbeit zwischen islamischer Welt, die langsam bereit war zu lernen, und einem Westen, der entweder in Gestalt einzelner Abenteurer oder aber in Form von taktierenden Regierungen bereit war, einzelnen islamischen Ländern zu helfen, solange es auch ihren eigenen Interessen zugute kam.
Die nächsten Kapitel handeln dann vom Ringen um gesellschaftliche Veränderungen, was langsam, aber stetig auch zu einer Verwestlichung der Gesellschaften führte. Auch wird das Problem gezeigt, dass neues Wissen eher erworben (gekauft) und dann angewandt, aber nie wirklich weiterentwickelt wurde. So gelang es nicht, wirtschaftlich oder kulturell zu dem Westen aufzuschließen. Was Besuchern aus islamischen Ländern, die zunächst als Gesandte, später als Studenten an Hochschulen in die arabische Welt reisten, immer deutlicher auffiel.
Zuletzt wird noch auf Aspekte wie "Zeit, Raum und Modernität" sowie die Kultur eingegangen. Gerade hier zeigt sich, dass es dem Westen gelang, die islamische Welt zu durchdringen und ihr sein Selbstbild aufzuzwingen, zum Beispiel durch Filme, Bücher und Musik, ohne dass es der islamischen Welt gelang, all diese westlichen Errungenschaften für sich neu zu interpretieren oder sich selbst zu Eigen zu machen.
Im Schlussteil wird noch mal der Frage nachgegangen, wer denn nun die Schuld an diesem fast schon beispiellosen Abstieg einer Gesellschaft trage. Hier führt Lewis die bekanntesten Thesen (Mongolen, Türken, Araber, der westliche Imperialismus) auf und widerlegt sie alle.

Was bleibt, ist der Eindruck, dass das Buch viele Fragen aufwirft - aber nur sehr wenige beantwortet. Was lief schief? Gute Frage. An einer Stelle erklärt Lewis, die islamische Welt sei nicht abgestiegen, sondern stagniere nur. Der Westen hätte sie dabei einfach nur überholt. Eine interessante These. Wie es zu diesem Stillstand kam, wird nicht wirklich erklärt.
Auch wäre eine bessere Erklärung der Verhältnisse zwischen Morgen- und Abendland wünschenswert gewesen. Die westliche Welt wird oft als reicher, moderner, fortschrittlicher bezeichnet. Jedoch fehlen meistens genaue Angaben zu dieser Behauptung. Zu welcher Zeit genau kam diese Erkenntnis auf? Wieso hatten Beobachter aus dem Morgenland diesen Eindruck? Denn auch im noch so reichen Westen gab es lange Zeit bittere Armut und schreiende Ungerechtigkeiten. Ein genauer Vergleich der Lebensverhältnisse der Menschen in den verschiedenen Kulturen hätte hier helfen können, dabei das Buch aber sicher auch wesentlich verlängert.

Überhaupt ist die Länge des Buches ein Problem. Zusammengesetzt wurde es aus den Materialien zu Vorlesungen und weiteren Veröffentlichungen, was man dem Buch in Stil und Aufbau auch anmerkt. Oft genug wiederholen sich Punkte. Auch wäre eine straffere Gliederung wünschenswert gewesen. Eine genauere chronologische Einteilung hätte dem Verständnis sicher auch geholfen. Das Buch hinterlässt den Eindruck, als hätte man es entweder ordentlich kürzen oder noch stärker ausarbeiten sollen. Zudem liest sich der Text sehr trocken und die Wiederholungen und Sprünge in der Argumentation erschweren das Verständnis.
Trotz all dieser Kritikpunkte sollte man nicht übersehen, dass es sich um ein fachlich sehr fundiertes Buch handelt, das mit vielen falschen Vorstellungen und Vorwürfen zu Gericht zieht. Es zeigt die enge Verbundenheit zweier Kulturen, die es lange Zeit trotzdem schafften, mehr oder weniger aneinander vorbei zu leben. Auch bedenken muss man, dass es zu dem Thema nicht gerade viele Bücher gibt, was einen Vergleich mit anderen Werken schwierig macht. Gerade sich auf ein wenig erforschtes Gebiet zu wagen, sollte man Bernard Lewis anrechen. Für Leute, die sich mit dem Thema weitergehender beschäftigen ist das Buch ein gelungener Einstieg in die Materie. Lewis kann mit seinem Buch vielleicht nicht alle Fragen beantworten, die gestellt werden, aber das Buch hilft seinen Lesern, neue Fragen zu stellen. Es bietet einen guten Einstieg in ein schwieriges Thema aus einem neuen Blickwinkel.

Susanne Fischer



Hardcover | Erschienen: 01. September 2002 | ISBN: 3785721080 | Originaltitel: What Went Wrong? | Preis: 19,90 Euro | 256 Seiten | Sprache: Deutsch

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