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Sein altes Leben einfach zurücklassen, irgendwo an einem fremden Ort neu beginnen und sich selbst verwirklichen - gute Vorsätze, die Georg Polger sich für sein Leben vorgenommen hat. Dann aber läuft wie immer alles ganz anders. Nachdem er seine gut laufende Anwaltskanzlei in Karlsruhe aufgegeben hat und samt Freundin nach Südfrankreich ausgewandert ist, um als freier Übersetzer zu arbeiten, will das mit dem Neuanfang doch nicht so recht funktionieren. Die Freundin zieht aus, die Aufträge sind spärlich, die Rechnungen stapeln sich.
Georg schöpft neue Hoffnung, als er zunächst Monsieur Bulnakof, der ein Übersetzungsbüro betreibt, kennen lernt und von diesem gute Aufträge bekommt. In der Liebe geht es ebenso bergauf, denn Bulnakofs hübsche Sekretärin Françoise zeigt reges Interesse an ihm, und es entbrennt schon nach kurzer Zeit eine leidenschaftliche Liebesbeziehung; als dann auch noch sein bisheriger Chef überraschend verstirbt, übernimmt Georg kurzerhand dessen Büro. So viel Glück auf einmal ist ihm jedoch unheimlich, und seine dunkle Ahnung soll sich als richtig herausstellen. Schon bald arbeitet Georg an Übersetzungen von Konstruktionsplänen für Kampfhubschrauber. Eines Nachts erwischt Georg Françoise in seinem Büro zu Hause, wie sie die übersetzten Pläne fotografiert. Wie in einen ausweglosen Strudel wird Georg in Geschehnisse mit hineingezogen, die er zunächst nicht begreifen kann und die ein offenbar noch nicht einzugrenzendes Ausmaß vorweisen.
Wie sich herausstellt, ist Georg von Bulnakof für die Übersetzungen der Pläne benutzt worden. Aber wer steckt hinter dem Ganzen? Der russische Geheimdienst, wie Françoise unter Tränen gesteht? Oder etwa der französische? Stecken die beiden gar unter einer Decke, um an diese wichtigen militärischen Pläne zu gelangen? Georg muss erst um die halbe Welt reisen, um herauszufinden, wer der wahre Drahtzieher hinter dem Ganzen ist - und spielt mit nichts Geringerem als seinem Leben.
Etwas zäh erweist sich der Einstieg in den Roman, wenn der Protagonist inmitten seines chaotischen, ungeordneten Lebens vorgestellt wird. Schon früh stellt der Leser sich auf einen zögerlichen und unsicheren Charakter ein, der mit den Tücken des Lebens nicht zurechtkommt. Jedoch entsteht nach einigen Dutzend Seiten ein gewisser Sog, denn als die mysteriösen Dinge ins Rollen kommen und Georg ihnen folgt, durchläuft der Charakter eine interessante Entwicklung. Immer mehr wandelt sich der weltfremde Übersetzer in einen entschlossenen und konsequenten (Anti-)Helden, der dadurch zwar an Sympathie verliert, jedoch an Respekt gewinnt.
Schlinks bisweilen lebensferne Charakterisierung seiner übrigen Figuren - vor allem Françoises Verhalten ist oftmals schwer nachzuvollziehen - schmälern das Lesevergnügen in den Passagen, die auf den Handlungen der Personen bezüglich der Nebenstränge basieren, zum Beispiel was Georgs Liebelei mit Françoise angeht. Nur zu oft will man dem Protagonisten Ratschläge und Standpauken erteilen.
Dennoch ist die Handlung an sich gelungen und pendelt schwungvoll zwischen Charakterstudie, Kriminalroman und Detektivgeschichte hin und her. Wozu sich entscheiden, wenn man alle drei gut unter einen Hut bringt und den Leser so interessiert bei der Stange hält? Das Thema selbst ist allerdings Geschmackssache, und die teilweise überraschenden Wendungen, die das Ganze im Verlauf nimmt, bereitet Schlink wenig spektakulär und damit nur mäßig spannend auf. Dies wird vom Stil des Romans unterstützt, der sich vor allem durch eine gewisse Distanz zum Geschehen, Nüchternheit und eine Prise zynischen, trockenen Humors auszeichnet.
Ausgezeichnet mit dem "Glauser", dem Autorenpreis deutschsprachiger Kriminalliteratur, ist "Die gordische Schleife" zwar nicht Schlinks meistgelobtes Werk, jedoch ein viel beachtetes. Schade, dass der Verlag nicht auf den vorliegenden Roman vertraut hat; so sind auf der Rückseite der besprochenen Auflage lediglich Pressestimmen über Schlinks größten Erfolg "Der Vorleser" zu finden.
"Die gordische Schleife" trifft zwar keine konkrete Zielgruppe; von allem ist etwas dabei, von nichts aber genug, um ein bestimmtes Genre gänzlich abzudecken. Dennoch lohnt sich ein Blick hinein, denn Schlink hat einen tollen Stil vorzuweisen, mit Hilfe dessen er eine gelungene Charakterstudie und -entwicklung eines weltfremden Mannes hinlegt, die beide in eine nette Kriminalgeschichte eingebettet sind.