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London, 1521: Der Glaube an Gott und auch die Furcht vor ihm beherrschen das Denken der Menschen. Es ist die Zeit, in der Martin Luther die katholische Kirche herausfordert und ein grundlegendes Reformprogramm für sie entwickelt. 1521 ist auch das Jahr, in dem Luther exkommuniziert wird. Vor allem aber beherrscht in diesem Jahr die Angst die Stadt an der Themse: Wieder und wieder werden tote Jungen aufgefunden, die sich anscheinend selbst das Leben genommen haben und in deren Abschiedsbriefen zu lesen ist, dass Gott sie verlassen hat. Heimlich spricht man bereits von einer "Seelenpest", die die Jungen zur schrecklichen Sünde des Freitods bewegt hat - denn wie könnte Gott, der die Welt erschaffen hat und der allem einen Sinn verleiht, den Menschen jemals verlassen? In dieser unruhigen und düsteren Zeit lebt der 16jährige Andrew Whisper, der durch ein Stipendium eine anspruchsvolle Internatsschule besuchen darf. Andrew ist verliebt in die 16jährige Margaret Morland, doch deren Vater, Sir Thomas Morland, ist ein hoher Staatsbeamter des britischen Königs. Die junge Liebe ist ihm ein Dorn im Auge, zumal Andrew Whispers Vater ein stadtbekannter Trinker ist.
Thomas Morland wird beauftragt, mit Hilfe einer so genannten "Atheismuskommission" die rätselhafte Serie von Selbstmorden aufzuklären. Auch Andrew Whisper und seine Freunde, die gemeinsam die geheime Gruppe "Blackfrairs Seven" bilden, versuchen das Geheimnis um die Seelenpest zu lüften. Dabei stehen ihnen jedoch eine Reihe bedrohlicher Hindernisse im Weg: Warum benimmt sich Präzeptor Clifford, der im Schulunterricht gern zu grausamen Strafmaßnahmen greift, in letzter Zeit so merkwürdig? Haben die toten Jungen vielleicht gar nicht aus freien Stücken den Tod gefunden? Der Fall erstreckt sich bis in die höchsten Kreise und nicht nur Andrew Whisper findet sich plötzlich vor Entscheidungen gestellt, die sein Leben bedrohen
Jürgen Seidels Roman "Das Geheimnis um die Seelenpest", erschienen bei Beltz & Gelberg in der Reihe "Gulliver", ist ein spannender Krimi, eingebettet in einen ausgezeichnet recherchierten historischen Rahmen. Von Anfang an gelingt es dem Autor, die Düsternis und Beklemmung der damaligen Zeit darzustellen, den Zwiespalt der Menschen und vor allem ihre Angst, ausgelöst durch den starken Glauben an die Kirche und deren Forderungen. Der Roman liest sich nicht leicht und ist tatsächlich erst ab den empfohlenen 14 Jahren geeignet; für jüngere Kinder dürfte die Handlung zu komplex und streckenweise auch zu langweilig sein. Die Kriminalhandlung - die tot aufgefundenen Jungen und ihre rätselhaften Abschiedsbriefe - bleibt über weite Strecken im Hintergrund, um einer weitaus vielschichtigeren Handlung Platz zu machen: Gottesfurcht und blinder Glaube, Rache, Sühne, Schuld und bösartige Verschwörungen spielen eine wachsende Rolle, die beim Leser für Beklemmung sorgt. In einem unheilvollen Dreieck befinden sich der junge Andrew Whisper, von Haus aus benachteiligt und voller Wissensdurst, Margaret Morland, die ihren eifersüchtigen Vater an Klugheit übertrifft, jedoch teilweise Opfer ihres eigenen Halbwissens ist, und Thomas Morland, der in mehr als nur einer Beziehung Schuld auf sich lädt und nicht damit leben kann.
Stellenweise zieht sich die Handlung etwas in die Länge und man muss aufmerksam weiter lesen, um den Faden nicht zu verlieren. Gerade in den letzten Kapiteln gewinnt die Geschichte jedoch ganz enorm an Fahrt, wird atemberaubend spannend. Schuldige und ihre Motive werden aufgedeckt, Entscheidungen werden getroffen und Charaktere von Grund auf gewandelt. Jürgen Seidel bedient sich ausgiebiger Einblicke in die Gefühlswelt seiner Romanfiguren, schildert sehr plastisch, wie die meisten von ihnen hin- und hergerissen sind zwischen Müssen und Wollen, zwischen Ängsten, Aberglauben und Sehnsüchten. Seidel lässt die Protagonisten aufbegehren und lädt damit gerade junge Leser zum Mit- und Nachdenken ein. Obgleich der Roman im 16. Jahrhundert spielt, ist das Thema für Jugendliche auch heute noch aktuell: Was passiert, wenn der eigene Glaube in den Grundfesten erschüttert wird?
Fazit: Keine leichte Lektüre, sondern ein anspruchsvolles Jugendbuch, das unter Umständen nicht jedermanns Sache sein wird. Wer sich jedoch einlässt auf die vielschichtige Handlung und die altmodische Sprache, dem eröffnet der Autor detaillierte und hochinteressante Einblicke in die damalige Zeit und damit in die Denk- und Gefühlswelt der darin lebenden Menschen. "Das Geheimnis um die Seelenpest" vereint historischen Roman, Liebesgeschichte, Krimielemente und philosophische Denkanstöße. Der Roman besitzt dabei eine hohe Authentizität und hält sich, obwohl die Handlung um die "Seelenpest" fiktiv ist, stets an die historischen Fakten. Somit werden vor allem Fans des Mittelalters ihre Freunde an diesem Buch haben.