Media-Mania.de

 Feldpostbriefe aus Stalingrad


Cover
Gesamt ++++-
Anspruch
Preis - Leistungs - Verhältnis


2002, sechzig Jahre nach der Einkesselung der sechsten Armee in Stalingrad, rief der Deutschlandfunk seine Hörer auf, Feldpostbriefe aus dem Kessel einzusenden, für eine Sendereihe. Nun gibt es diese Sammlung in einem Taschenbuch, das bei dtv herausgekommen ist.

Der Herausgeber Jens Ebert führt nur kurz in die Thematik ein, um dann die Soldaten sprechen zu lassen, sehr verschiedene Soldaten. Vom einfachsten Landser und vom Panzergrenadier zu den Rittmeistern und Stabsärzten, alle kommen zu Wort, alle haben an ihre Familien und Freunde geschrieben, alle erlebten den Schrecken Stalingrad, die sinnlose Schlacht, aber alle haben ganz verschiedene Erlebnisse, Ansichten, schreiben ganz verschiedene Sachen an die Verwandten und Freunde.

Vielfach geht es in den Briefen um ganz normale, ja triviale Sachen, um Paket- und Luftpostmarken, die die Soldaten nach Hause mitschickten, um ihrerseits wieder etwas von zu Hause bekommen zu können, um die Reihenfolge der Briefe, darum, ob alles zu Hause angekommen ist, ob sie alles bekommen haben, was die Heimat in ihre Richtung schickte. Dann wird erzählt, wie es mit Nahrung aussieht, wie man versorgt ist, und wenn man dann liest, dass die Soldaten mehrere Pullover und Hosen übereinander tragen, dann kommt zum ersten Mal ein bisschen diese unheimliche Stimmung auf, die fast von Brief zu Brief wächst.

Jeder Brief, der auf normalem Feldpostweg aus Stalingrad heraus kam, ging durch eine Zensur, was die Soldaten natürlich auch wussten. Es war ihnen prinzipiell nicht erlaubt, militärische Details in den Brief einfließen zu lassen, selbst Worte wie "Kessel" waren nicht erlaubt, aber ab einem gewissen Zeitpunkt nutzten die Soldaten sie ganz ungeniert, vermutlich weil sie die Zensur nicht mehr so richtig ernst nahmen. Manche Briefe gingen auch einen ganz anderen Weg, wurden Verwundeten mitgegeben, die von der Front ausgeflogen wurden, und hier stehen schon mal ein wenig konkreter die Verhältnisse drin, in denen die Soldaten hausten. Ihre Bunker waren Erdlöcher, Waschen, sowohl von Kleidung als auch von Körper, war ein seltener Luxus für viele, und die Ernährung war mangelhaft, am Ende sogar zum Erbarmen wenig. Dafür kann man wenigstens mal über die ironische Spitze lachen, wenn ein Gefreiter nach Hause schreibt, dass es jetzt wenigstens wieder Haferflockensuppe gäbe, "zu meiner Freude ohne Fleisch". Die deutschen Soldaten glaubten zu großen Teilen daran, dass sie aus dem Kessel gerettet würden, manche schreiben zurück, dass "der Russe" aus dieser Schlacht noch viel zu lernen habe, manche meinen, Hitler würde sie "raushauen" - aber alle träumen vom Frieden, davon, zurück bei ihren Kindern und Frauen zu sein, zurück in einer Zivilisation, sich mal satt essen zu können, kleine Träume, und um so traurigere Träume, wenn man bei jedem Briefschreiber nachlesen kann, ob er den Krieg überlebte - und Überlebende gibt es nur sehr wenige.

Abgeschlossen wird das Buch durch einen Bericht zum Mythos Stalingrad vom Herausgeber. Die literarischen und filmischen Reminiszenzen an die sechste Armee, deren Soldaten zu Zehntausenden starben, werden aufgeführt und kritisch gewürdigt, dazu kommen noch ein paar Erklärungen zu der Situation der Briefschreiber und zum Verständnis ihrer Briefe.

Man kann dieses Buch wie einen Roman von vorne nach hinten lesen, die chronologische Abfolge zeigt sich nicht nur am Datum, sondern auch an den sich immer weiter verschlimmernden Verhältnissen, man kann aber auch einfach immer wieder mal einen oder drei Briefe lesen, einfach mal aufschlagen und schauen, da gibt es sicherlich immer wieder Briefe, die nicht so wirklich viel Substanz haben, aber auch die haben viel Atmosphäre, und bei manchen schreit das Elend heraus, manche zeigen eine so tiefe Gottesfurcht, dass diese Briefsammlung zu einer Sammlung starker Gefühle wird, geschrieben von Männern, die keine Gefühle zeigen konnten. Ein intensives Leseerlebnis, eine kostbare Quellensammlung.

Holger Hennig



Taschenbuch | Erschienen: 01. Januar 2006 | ISBN: 3423342692 | Preis: 14,50 Euro | 404 Seiten | Sprache: Deutsch

Werbung

Dieser Artikel könnte interessant sein:

Zu "Feldpostbriefe aus Stalingrad" auf Amazon

Hinweis: Als Amazon-Partner verdiene ich an qualifizierten Käufen.



Ähnliche Titel
Meine WendeIch bleibe eine Tochter des LichtsStauffenbergReinhard HeydrichStalin