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"Im Rausch der Stille" heißt der literarische Überraschungserfolg aus Spanien. Gleich nach Erscheinen im Jahr 2002 erstürmte Albert Sánchez Piñol mit seinem ersten Roman die Bestsellerlisten Spaniens und erhielt den renommierten Literaturpreis "Ojo critico de narrativa". Auf Deutsch erschien "Im Rausch der Stille" erst im August 2005 in Buchfassung bei Fischer und zwei Monate später dann auch als Hörbuch im Argon Verlag.
In seinem Roman entführt uns der Katalane Sánchez Piñol auf eine ferne Insel: Ein irischer Freiheitskämpfer verzweifelt an seinem Krieg und flieht vor der Zivilisation. Er lässt sich als Wetterbeobachter auf einem unbewohnten und unwirtlichen Eiland am Ende der Welt anstellen. Wider Erwarten ist er dort nicht allein, doch der Mann im Leuchtturm scheint verrückt geworden zu sein. Bei Einbruch der Dunkelheit erfährt der Neuankömmling den Grund: Blutrünstige Gestalten entsteigen dem Meer und gieren nach frischem Fleisch: "Kein Gramm Fett, reine Muskeln, Haifischhaut. Die Finger waren durch eine Schwimmhaut verbunden, die fast bis zu den Nägeln reichte. Meiner Fassungslosigkeit folgte eine Woge der Panik."
Verzweifelt wehren sich die Männer mit allem, was ihnen an Waffen zur Verfügung steht. Doch unaufhaltsam rollt Welle um Welle der Monster an, um das Schicksal der Kämpfer zu besiegeln. Als nach einem Jahr die Ablösung eintrifft, bleibt diese entsetzt und erschüttert vor den angerichteten Verwüstungen stehen. Dem Kapitän entfährt die Frage: "Welche Naturkatastrophe hat denn hier geherrscht? Ein Erdbeben? Ein Vulkanausbruch oder vielleicht ein Wirbelsturm?"
Das Hörbuch besteht aus sechs CDs mit jeweils rund achtzig Minuten Spielzeit. Der Sprecher Bernd Michael Lade, bekannt durch seine langjährige Rolle als Tatort-Kommissar Kain im MDR, trägt die Geschichte ruhig und beinahe auf subtile Weise vor. Er klingt wie ein junger, desillusionierter Bursche, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts danach strebt, nach dem Zusammenbruch seines Weltbildes neu Fuß zu fassen und sich deshalb ein Jahr Auszeit gönnt. Da nur wenige Personen auftreten, kann er sich völlig auf den Text konzentrieren und muss nicht einen Teil seiner stimmlichen Ressourcen für die Unterscheidbarkeit der Protagonisten aufwenden. Er nimmt diese Chance wahr und bringt jede auch noch so versteckte Nuance im Roman zum Klingen. Dies verstärkt die Spannung, die Plastizität und den Horror der emotionalen Kämpfe, die die beiden Europäer überstehen müssen, um zu überleben.
Piñol, Anthropologe von Beruf, versteht es meisterlich, Urbilder anklingen zu lassen und treibt ein gespenstisches Spiel der Ambivalenzen. Die Faszination des Grauens treibt die Story voran, das Unheimliche, das Lustangst erzeugt. Lust schließlich in einem bizarren sexuellen Sinne beschreibt Piñol dann tatsächlich. Lust, aus der so etwas wie Liebe wird. Der letzte Rest so genannten zivilisatorischen Verhaltens wird ausgelöscht, als der Erzähler es dem Leuchtturmbewohner gleichtut und dem "Gesang der Sirene", wie übrigens auch der Titel der französischen Übersetzung lautet, verfällt. Der Debütroman des Anthropologen wurde seither bereits in 28 Sprachen übersetzt. Für die deutsche Version wählte die Übersetzerin Angelika Maass einen neuen Titel: Statt wie im katalanischen Original "Die kalte Haut" ("La pell freda") heißt das Werk nun "Im Rausch der Stille" - ein schönes Bild, das die Isolation und den Wahn der Figuren poetisch umschreibt.
Piñols Geschichte könnte eine Parabel sein: Die Monster als Fleisch gewordene Gespenster der Vergangenheit, die man nur bekämpfen kann, indem man sich mit ihnen versöhnt? Der Leuchtturm als Sinnbild für die existenzielle Einsamkeit des Menschen unter seinen Artgenossen? Mag sein. Doch "Im Rausch der Stille" ist auch dann eine gute und wendungsreiche Geschichte, wenn man die mögliche tiefere Bedeutung außer Acht lässt. Es ist insgesamt eine spannende, mit ein paar Horroreinlagen gespickte moderne Robinsonade, die den Hörer bis zum Schluss am Kopfhörer kleben lässt.