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Dieser Roman beschäftigt sich teilweise mit der Frage, wo man denn zu Hause ist. Bei einem Menschen oder doch eher in einem Land? Was macht man, wenn der Mensch, der einem das Gefühl gab, Zuhause zu sein, einen verlässt und man zwischen zwei Heimatländern zerrissen ist?
Lárus macht diese Erfahrung kurz vor Weihnachten. Alles war so idyllisch geplant: Er und sein Freund Milan, Matilda, LárusÂ’ beste Freundin seit Kindheitstagen, und ihr Freund Svend wollen ein schönes Weihnachtsfest auf Island verbringen. Doch kurz vor Lárus Abflug aus Hamburg, seiner zweiten Heimat, macht Milan Schluss. Kurz nach seiner Ankunft in Reykjavik eröffnet Matilda ihrem besten Freund, dass sie sich von Svend aus Angst vor seiner Perfektheit getrennt hat. Dies programmiert den ersten Streit des ungleichen Paares vor. Lárus gesamter Aufenthalt ist immer wieder von Streit mit Matilda geprägt, der die unterschiedlichsten Themen behandelt. Doch dies ist sein kleinstes Problem, wie sich bald herausstellt.
Lárus gilt laut isländischem Einwohnermeldeamt als verstorben, als er putzmunter ein Video ausleihen will. Doch wegen seiner ihm eigenen Unmotiviertheit kümmert er sich nicht weiter darum. Dann trifft er in Matildas WG auf Dagur, einen weiteren Bekannten aus der Kinderzeit. Dagur ist zugleich der Sohn von Islands mächtigster Familie, doch er ist das schwarze Schaf dieses Clans. Er ist dem Familiengeheimnis, einer alten Handschrift, auf der Spur und wittert überall Verschwörungen. So ist er der Meinung, dass Lárus von seiner Familie tot erklärt wurde, doch den Grund verschweigt er, Lárus muss ihn selbst herausfinden. Gerade, als Dagur sich in Lárus verliebt und auch Lárus Methoden entwickelt, über Milan hinwegzukommen, hat Dagur einen tragischen Unfall. Unfall, Selbstmord oder Mord?
Erschwerend zu diesen Fragen kommt hinzu, dass Lárus ein ziemlicher Pechvogel ist, was seine Gesundheit angeht. Mal bricht er sich ein Bein, mal stürzt er in ein frisch ausgehobenes Grab. Ein anderes Mal wird er verprügelt, dann wieder steckt plötzlich ein Messer in seinen Fingern. Und trotz dieser Schwierigkeiten will er Dagurs Arbeit fortsetzen und das Geheimnis der mächtigen Familie zu lüften.
Dabei macht er überraschende Entdeckungen über seine eigene Herkunft und sogar über die Herkunft aller Isländer.
Kristof Magnusson ist hier ein sehr gutes Erstlingswerk gelungen, das mit seinem trockenen Humor und der versteckten Suche nach dem "Zuhause" zu fesseln vermag. Der Leser kann sich mit Lárus schnell anfreunden, auch wenn er ein Pechvogel zu sein scheint, der emotionale Bindungen scheut. Auch seine Freundschaften leiden unter seinem Willen, Abstand zu halten, obwohl er doch Nähe sucht, beides aber nicht vereinbaren kann. Zerrissen zwischen seiner Heimat Island und Deutschland, wohin die Familie nach dem Tod von Lárus auswanderte, kann er sich nirgends recht wohl fühlen. Seine Arbeit - er macht Filme über Zugvögel - zeigt diese Wurzellosigkeit, die auch in der Sprache des Romans immer wieder zum Ausdruck kommt. Zusätzlich zu diesen Problemen zeigt sich das Problem einer ganzen Generation: Ende zwanzig und Single, nun stellt sich die Frage, wie man leben will. Familie gründen oder allein bleiben oder doch in eine WG ziehen? Lárus und Matilda haben Angst vor dem Alleinleben, also würden sie notfalls zusammen ziehen. Doch wer ist schon zufrieden damit, eine Notlösung zu sein?
Der Roman zeigt die moderne Seite Islands - dies ist der einzige Island-Roman, den ich kenne, in dem das Wort "Elfen" nur zweimal erwähnt wird - und Reykjavik als Stadt im Aufbruch und im Spagat zwischen Moderne und Tradition. So ist die Stadt wie das ganze Land und wie alle Protagonisten: zerrissen. Lárus sucht seine Wurzeln, Matilda sucht Liebe und fürchtet sie doch. Die weiteren Bewohner der WG haben alle ähnliche Probleme: Sie suchen eine Sache und fürchten sie gleichzeitig.
Diese Perspektivlosigkeit und Verwirrtheit könnte tragisch wirken, doch durch den lockeren Ton gewinnt der Roman eine Dynamik, die unnötige Schwere verhindert.
Die Geschichte handelt von gestörten Beziehungen, von Freundschaften, von Diskos mit Alkohol und Gewalt, von Musik - immer wieder sind Liedtexte isländischer Musikgruppen eingeflochten - und verknüpft die alten Sagen Islands mit dem heutigen Geschehen.
Das Erzähltempo ist wie ein Krimi, zu dem der Roman durch das angebliche Familiengeheimnis auch beinahe wird, inklusive Einbrüchen, Überfällen und Schlägereien.
Dieses Buch ist wirklich lesenswert, vor allem da eine Inhaltsangabe der Geschichte nie gerecht werden kann. Zu reich an Details ist der Roman, zu verschlungen sind die Handlungswege, um dem Inhalt in einer Zusammenfassung gerecht werden zu können. Daher kann man Lesern, die sich von melancholisch-heiteren Büchern, die ein Lebensgefühl ausdrücken können, faszinieren lassen, nur empfehlen dieses Buch zu lesen.